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Eva von Angern zu TOP 8: Große Anfrage Armut von Kindern und Jugendlichen in Sachsen-Anhalt

Sehr geehrte Damen und Herren,

„Wer einmal arm wurde, bleibt zunehmend länger arm als in der Vergangenheit.“

So titelte Gestern der SPIEGEL und bezieht sich damit auf den frisch veröffentlichten „Datenreport 2021, Sozialbericht für Deutschland“.

…und ich falle gleich mit der Tür ins Haus: Armut und insbesondere Armut von Kindern und Jugendlichen will und werde ich in unserem reichen Land nicht akzeptieren.

Ich werde immer und immer wieder darauf hinweisen, wie in unserem Land sehenden Auges Kindern nicht nur Zukunftschancen genommen, sondern sie im Hier und Jetzt keine glückliche Kindheit erleben dürfen.

Hier geht es nicht nur um Generationengerechtigkeit.

Hier geht es auch darum, wie wir mit den schwächsten Gliedern unserer Gesellschaft umgehen, welche Bedeutung wir Ihnen vorleben.

Das, was wir jetzt tun oder das was wir jetzt versäumen, wird über die Zukunft unserer Gesellschaft maßgeblich entscheiden.

…und NEIN, es geht keine Nummer kleiner.

Sowohl der bereits genannte Datenreport als auch die Antwort der Landesregierung zeigt, dass sich die Armutszahlen nicht nur verstetigen, sondern es immer schwerer wird, aus der Armut heraus zu kommen. Nun klingt das sehr technisch, sehr akademisch. Doch Armut hat ein Gesicht in Deutschland.

Insbesondere Kinder und Alleinerziehende sind von Armut gefährdet oder betroffen.

Die Armutsgefährdungsquote liegt in Sachsen-Anhalt bei 27,3 % bei Kindern und Jugendlichen. Bei Alleinerziehenden bei fast 60%. Nach wie vor gilt: Kinder machen arm. Ein Satz, der schon beim Aussprechen weh tut.

Was bedeutet Armut für Kinder, für Jugendliche, für Familien? Familien in Armut leben häufig in beengten Wohnverhältnissen. Familien in Armut verfügen entweder über keine oder nicht über ausreichend „Endgeräte“, um einem digitalen Unterreicht zu folgen.

Familien in Armut haben nicht die Möglichkeit, in den Urlaub zu fahren. Es gab bei unserem Fonds für die gespendeten Diätenerhöhungen in meiner Fraktion mehrere Anfragen von Eltern, dass wir ihnen das Geld für das Ferienlager für ihre Kinder geben und das aber bitte direkt an den Träger der Ferienfreizeit auszahlen mögen, weil es sonst auf ihre Leistungen angerechnet werden würde.

Armut geht eben auch immer einher mit dem Verlust von Würde. …und Kinder spüren genau das.

Die ISS-Langzeitstudie der AWO hat genau das herausgearbeitet: Kinder und Jugendliche wissen und lernen schon früh, was bedeutet, arm zu sein.

Sie spüren die Ausgrenzung. Sie wissen, dass sie um ihre Chancen im Leben immer härter kämpfen müssen als andere. Ich will damit nicht sagen, dass diese Kinder nicht auch glücklich sind und sich wohlbehütet und in ihren Familien aufgehoben fühlen.

Doch sie machen Erfahrungen und sie erleben Entbehrungen, die einer glücklichen hinderlich sind.…und bittere Wahrheit ist auch, dass Menschen, die in Armut aufwachsen und leben 10 Jahre eher sterben.

Das ist das Ergebnis einer Langzeitstudie des Robert-Koch-Instituts.…und wir reden über Deutschland, im 21. Jahrhundert. Das ist völlig inakzeptabel.

Nun ist natürlich die spannende Frage, was kann bzw. was muss Politik tun, um Armut zu verhindern oder mindestens die Folgen abzumildern? Gleich vorweg: als Land können wir das Thema nicht allein bewältigen.

Allein der Fingerzeig gen Bund ist ebenfalls nicht allein hilfreich. Wenn wir Kinderarmut und ihre Folgen wirksam bekämpfen wollen brauchen wir ein Zusammenwirken von Kommunen, Land und Bund.

Dabei ist einer der wichtigsten Schritte, dass:

In Deutschland endlich eine Kindergrundsicherung eingeführt wird!

Wir können uns gern um das Modell streiten. Es liegen inzwischen ausreichend Vorschläge auf dem Tisch.

Hauptsache wir gehen es endlich an! Ich möchte in diesem Zusammenhang die Debatte um die Kinderrechte im Grundgesetz nicht außen vorlassen.

Denn selbstverständlich hängen diese Themen im Grundverständnis eng zusammen.

Die Tatsache, dass die Legislaturperiode im Bund ohne Einigung zwischen CDU/ CSU und SPD zu den Kinderrechten enden wird, ist armselig und zeigt einmal mehr den tatsächlichen Stellenwert von Kindern und Jugendlichen in unserer Gesellschaft.

Ja, Kinder sind immer auch Teil einer Familie, aber sie sind eben auch Menschen mit eigenen Rechten. Dies durch das Festschreiben von „Schutz, Förderung und Beteiligung“ im Grundgesetz hätte uns nicht nur als Gesellschaft gut getan, sondern auch zu erheblichen Verbesserungen für jedes Kind geführt.

Die Tatsache, dass wir in diesem Haus gemeinsam beschlossen haben, dass das Taschengeld und Geld aus Ferienjobs nicht mehr auf den Regelsatz angerechnet werden soll, war ein gutes Zeichen.

Herr Ministerpräsident, Sie sind derzeit Chef des Bundesrates. Machen sie diese Themen zur Chefsache.

Es gab bisher nur einen einzigen Ministerpräsidenten, der die Forderung der Kindergrundsicherung im Bundesrat aufgerufen hat: das war Bodo Ramelow.

Unterstützen Sie ihn! Sie haben die Rückendeckung dieses Parlaments.

Lassen Sie uns hier in Sachsen-Anhalt regelmäßig einen Kindergipfel veranstalten, um Kinder und Jugendliche zu Wort kommen zu lassen, um ihre Interessen nicht einfach so zu vertreten, sondern sie zu kennen.

Das wäre übrigens auch ein wichtiger Baustein für den Erhalt unserer Demokratie.

…und gerade in den nächsten Jahren wird es darauf ankommen, welche Prioritäten in unserem Land, in unserem Landeshaushalt gesetzt werden.

Die Befreiung von Kitagebühren bei Geschwistern wird bald auslaufen. Lassen Sie uns weiter daran arbeiten, dass in Sachsen-Anhalt die Bildungseinrichtung Kita und auch ein gesundes Mittagessen kostenfrei sind.

Die Kitasozialarbeit ist inzwischen in einigen Kommunen als wichtiger Präventivbaustein im Rahmen der „Frühen Hilfen“ anerkannt. Sie und die Schulsozialarbeit als Schutz- und Hilfsnetz für Kinder und Jugendliche gilt es dringend zu erhalten.

Ich habe Gestern Abend mit fast 30 Sportvereinen konferiert und mit ihnen über die derzeitige Situation gesprochen. Ihre größte Sorge sind Kinder und Jugendliche, für die sie ein so wichtiges Freizeitangebot darstellen.

Von den 11.000 infolge der Pandemie ausgetretenen Mitglieder sind 6.000 Kinder und Jugendliche. Nachwuchssichtung und Werbung sind derzeit gar nicht möglich.

Gleiches gilt für die Trainergewinnung. Das müssen wir im Auge haben. Dabei müssen wir die Vereine, die überwiegend ehrenamtlich arbeiten, zukünftig unterstützen. Im Kulturbereich sieht es ähnlich aus.…und lassen sie uns die Kommunen, die teilweise nicht nur bereits erkannt haben, wie wichtig ein Netzwerk „Frühe Hilfen“ für alle Kinder ist, sondern dieses mit Leben erfüllen, dabei unterstützen, diese Angebote zu verstetigen und auszubauen.

Je mehr Kraft und Geld in präventive Maßnahmen fließt, um so seltener sind Eingriffe, wie das Herausnehmen von Kindern aus Familien, erforderlich. Wer kommunal aktiv ist, weiß, dass gerade die Heimunterbringungen die teuren Maßnahmen sind.

Da wir nun kurz vor dem Ende dieser Legislaturperiode stehen, möchte ich mit einem Dank enden. Es ist ja nicht so, dass wir beim Kampf gegen Kinderarmut in dieser Legislaturperiode nicht nichts erreicht haben. Kleine, aber nicht unwichtige Schritte sind wir gegangen. Auch parteiübergreifend.

Wir haben vor knapp vier Jahren das Netzwerk gegen Kinderarmut in Sachsen-Anhalt gegründet. Neben fielen gesellschaftlichen Akteur*innen: den Kirchen, den Gewerkschaften, der Vereinen und Sozialverbänden, der Bundesagentur für Arbeit, den Tafeln, den Krankenkassen, sind es eben auch Kollegen wie Tobias Krull, die dieses Thema glaubhaft im und außerhalb des Parlaments unterstützen.

Mit Unterstützung des Bildungsministers konnte die Idee meiner Kollegin Monika Hohmann für eine Förderung von Trinkbrunnen und damit kostenfreier Wasserversorgung in Kitas und Schulen vorangetrieben werden.

Hier im hohen Haus wurde dem im Netzwerk gegen Kinderarmut entwickelten Beschluss zur Nichtanrechnung des Taschengeldes auf Transferleistungen und Nichtheranziehung des Einkommens der Jugendlichen bei stationären Aufenthalten zugestimmt. Nicht zuletzt sind auch Veranstaltungen wie 2019 im Rathaus von Magdeburg wichtige Bausteine, um dem gemeinsamen Engagement gegen Kinderarmut mehr Gewicht zu verleihen.

Dank an die Landtagspräsidentin, den damaligen Stadtratsvorsitzenden Andreas Schumann und der bundespolitischen Politprominenz aller demokratischen Fraktionen, die sich an diesem Tag klar positioniert haben.

Ich kann Ihnen versprechen, dass wir als LINKE dranbleiben, dass meine Partei diesem Thema treu bleibt und dass wir gemeinsam für Mehrheiten u.a. für die Einführung einer Kindergrundsicherung und für Kinderrechte im Grundgesetz kämpfen werden.

Nicht in Sonntagsreden, sondern hier im Parlament.

Jeder Mensch hat nur eine Kindheit und es ist unser Job, alles dafür zu tun, dass jedes Kind die Chance auf eine glückliche Kindheit und eine sichere, glückliche Zukunft hat.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!