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Eva von Angern zu TOP 4: Armut konsequent bekämpfen – krisenbedingte Mehrbedarfe von gestern, heute und morgen erkennen und einkommensschwache Haushalte und insbesondere Kinder und Jugendliche in Sachsen-Anhalt endlich zielgenau unterstützen

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

„Man erkennt den Wert einer Gesellschaft daran, wie sie mit den Schwächsten verfährt.“

Dieses Zitat wird Gustav Heinemann zugeschrieben und nicht wenige Politikerinnen haben sich in den letzten Jahrzehnten dieses Zitates des 3. Bundespräsidenten der Bundesrepublik bemüht, um politische Vorhaben – vor allem sozial- aber auch bildungspolitischer Natur zu begründen oder zu kritisieren.

Die Worte von Gustav Heinemann sind und bleiben richtig und es ist uns als LINKE ein besonderes Begehr, uns gerade für die Menschen in unserem Land einzusetzen, die keine Stimme im Parlament haben und die zum Teil auch keine Kraft haben, eine eigene Lobby aufzubauen. Daher möchte ich mich auch an dieser Stelle bei denen bedanken, die sich im besonderem diesem Thema widmen.

Wir haben gestern hier im Hohen Haus den Haushalt für das aktuelle Jahr beschlossen und Sie, liebe Kolleginnen der Koalition haben Prioritäten gesetzt, die nicht unsere sind. Als LINKE wissen wir natürlich, dass die wesentlichen Weichen in der Armutsprävention im Bund zu stellen sind. In Land und Kommune können lediglich die Folgen gemildert werden. Ich hatte kürzlich ein Gespräch mit dem OB von Frankfurt/ Oder, Rene Wilke. Ihm ist dieser Umstand auch bewusst.

Doch als Stadtoberhaupt sagt er ganz klar, es muss gerade in der Kommune alles dafür getan werden, dass die Folgen von Armut, von Kinderarmut im Besonderen gemildert werden. Und das beginnt mit der inneren Haltung.

Niemand ist gern arm und niemand möchte als arm bezeichnet werden. Denn die Schere im Kopf haben alle Menschen! Deshalb ist es gerade wichtig in einem so reichen Land wie Deutschland Armut anzuerkennen und respektvoll bei allem politischen Handeln zu begegnen. Das heißt konkret: niemanden auf Grund seiner Einkommenssituation abzustempeln und niemanden bei politischen Entscheidungen zu vergessen. Es geht bei dem Thema nicht um Schuld, sondern um staatliche Verantwortung.

 

Ich sage Ihnen ganz deutlich, Armutsbekämpfung muss nicht nur aus sozialen, humanistischen Gründen ganz oben auf der Tagesordnung stehen, sondern auch aus rein ökonomischen Gründen. Denn Armut schadet uns als Gesellschaft in Gänze. Die aktuelle Mai-Steuerschätzung erwartet in diesem Jahr Einnahmen von 889 Milliarden Euro – das sind 56 Milliarden Euro mehr als im Vorjahr. Für Sachsen-Anhalt bedeutet das in Zahlen ca. 724 Millionen Euro. Die Reaktionen auf diese Zahlen waren aus Berlin und Magdeburg deutlich. Der Bundesfinanzminister will bei der Lohnsteuer ausgleichen. Finanzminister Richter will das Geld für Schuldentilgung einsetzen. Beide Entscheidungen verstetigen: Arme bleiben arm. Reiche werden reicher. Das ist die Grundlage, das ist der Nährboden für soziale Spaltung, für das Abschneiden von Kinderrechten, für schlechte Bildungs- und Einkommenschancen und ganz zugespitzt: für eine kürzere Lebensdauer.

Spätestens hierfür würde ich einen Aufschrei erwarten! Das Robert-Koch-Institut hat es uns schwarz auf weiß ins Stammbuch geschrieben: Menschen, die in Armut aufwachsen, in Armut leben, sterben im Schnitte 10 Jahre früher! Die Gründe sind vielfältig: schlechte Ernährung, schlechte Wohnverhältnisse, schlechte Gesundheitsversorgung, fehlendes Glück. Nun kennen wir alle den Satz: „Geld allein macht auch nicht glücklich!“

Aber es gilt eben auch: Einkommensverhältnisse entscheiden in Deutschland wie kaum in einem anderen europäischen Land über die Bildungschancen von Kindern und deshalb haben wir heute bewusst, das Thema Armut und die Vorschläge gegen Armut und ihre Folgen in einem größeren Kontext in unserem Antrag auf die Tagesordnung gebracht. In Sachsen-Anhalt sind laut Aussage der Bunderegierung 26,2% der Kinder und Jugendlichen armutsgefährdet.

Das bedeutet, dass mehr als jedes vierte Kind in unserem Land die Folgen von Armut tagtäglich spürt!

Heinz Hilgers, Präsident des DKSB sagte einst:

„Kinder sind in Deutschland oft ein Armutsrisiko für Familien. Das frei verfügbare Einkommen einer Familie sinkt mit zunehmender Kinderzahl deutlich ab.“

Das ist keine neue Erkenntnis. Das ist doch aber vor allem ein Skandal! Jedes geboren Menschenkind sollte ein Glücksfall sein dürfen und kein Armutsrisiko! Ich habe kürzlich mit Viertklässlern über Armut geredet. Sie haben noch keine Denkverbote im Kopf und sagen offen ihre Meinung. Ein Mädchen sagte zu mir: „Arme Kinder werden gemobbt, weil sie arm sind.“

 

Ein anderer meinte: „Arme Kinder haben kaum Freunde und kein Geld für die Klassenfahrt.“

Kinder in unserem Land wissen genau, was Armut bedeutet. Sie können es spüren und sie können es in Worte fassen. Sie wissen, was Ausgrenzung bedeutet. Kinderarmut verletzt Kinderseelen. Das sollten wir uns alle vor Augen halten!

Natürlich wissen wir als LINKE, dass Kinderarmut immer auch die andere Seite der Medaille von Elternarmut ist und besonders schmerzhaft ist das Wissen, dass insbesondere Alleinerziehende in unserem reichen Land ein besonders hohes Armutsrisiko haben. Bereits seit vielen Jahren fordern wir daher als LINKE die Einführung einer Kindergrundsicherung. Es darf gerade nicht darauf ankommen, ob die Eltern Steuern zahlen, weil es derzeit dazu führt, dass gerade bei den Kindern, die in Familien mit keinem oder einem niedrigen Einkommen, aufgrund des momentanen Steuer- und Sozialsystem das kindliche Existenzminimum nicht gedeckt ist. Gemeinsam mit Verbänden, wie dem DKSB, der AWO, dem Deutschen Kinderhilfswerk, der Diakonie, Pro Familia (um nur einige zu nennen) fordern wir, dass das sogenannte kindliche Existenzminimum – zusammengesetzt aus dem sächlichen Existenzminimum und dem Freibetrag für Betreuung, Erziehung bzw. Ausbildung sichergestellt ist.

Es gibt verschiedene Modelle der Kindergrundsicherung und ich hoffe, dass sich eines in der aktuellen Koalition auf Bundesebene durchsetzen wird. Es ist selten, dass in einem Antrag der Opposition ein Vorhaben der Koalition – wenn auch im Bund – begrüßt wird. Doch ich sagen Ihnen ganz deutlich, wir haben uns sehr über diese Vereinbarung im Koalitionsvertrag der Ampel gefreut.

Allein meine Sorge besteht darin, dass es mangels Finanzen nicht umsetzbar sein wird. Doch dazu später. Unsere Forderung einer Kindergrundsicherung beläuft sich auf derzeit 699,00 Euro und ja, wir wollen das diese Summe den Familien direkt ausgezahlt wird. Für alle, denen jetzt das Vorurteil in den Kopf schießt, dass das Geld ja eh nicht bei den Kindern ankommt, sondern von den Eltern in Zigaretten, Alkohol oder ein aktuelles Handy investiert wird, empfehle ich die Studie „Kommt das Geld bei den Kindern an?“ vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung.

Diese Studie entstand im Auftrag der Bertelsmann Stiftung und hat nachgewiesen, dass direkte staatliche Transfers wie das Kindergeld sehr wohl bei Kindern ankommt und eben nicht von Eltern zweckentfremdet wird. Das Geld wird für bessere Bildungsangebote genutzt, für ein besseres Wohnumfeld und ich sage ganz deutlich: selbst wenn sich die Familie von dem mehr an Geld gemeinsam ein Auto kauft oder einen Urlaub bucht, ist auch das etwas, was den Kindern zu Gute kommt.

Wir müssen uns vor Augen halten, dass es in unserem reichen Land Kinder gibt, die noch nie einen Urlaub oder eine Ferienfreizeit erlebt haben, die noch nie mehr als ihren Stadtteil, ihr Dorf, ihre Stadt gesehen haben.

Umso bitterer war es, als in diesem Land die schwarz-gelbe Landesregierung entschieden hatte, dass es keine Unterstützung mehr für Ferienfreizeiten geben soll. Die Auswirkungen sind auch fast 20 Jahre später für Kinder und Jugendliche konkret spürbar und die Situation in den Kommunen hat es eben nicht ermöglicht, dass diese nahtlos einspringen.

Armut und Armutsfolgen betreffen allerdings nicht nur Kinder und Jugendliche.

Der Paritätische Gesamtverband hat in dieser Woche Zahlen veröffentlicht, die nachweisen, dass jeder dritte Studierende in Armut lebt. Hier geht es mir nicht darum, dass kein Geld für Partys und Urlaub in dieser Zeit da ist.

Uli Schneider, der HGF des Paritätischen sagte treffend dazu:

„Die altbackenen Klischees des fröhlichen Studentenlebens bei wenig Geld, aber viel Freizeit, sind absolut überholt und haben mit der Lebenswirklichkeit und dem Studiendruck heutzutage nichts mehr zu tun.“

Die Pandemie hat die Situation der vielen Studierenden, die sich ihr Studium selbst finanzieren müssen, noch erheblich erschwert, weil viele Nebenjobs weggefallen sind.

Das sind Probleme, die wir nicht einfach beiseiteschieben können, sondern es muss dringend eine Bafög-Reform erfolgen. Die Situation der Tafeln hat meine Kollegin Kerstin Eisenreich gestern schon beschrieben und ich kann Ihnen sagen, dass wir auch hierzu noch parlamentarisch aktiv werden. Denn die Tafeln sind inzwischen lebensnotwendig für nicht wenige Menschen in Sachsen-Anhalt geworden. Traurige Wahrheit ist dabei auch, dass immer mehr Seniorinnen die Tafeln nutzen müssen. Das ist kaum auszuhalten. Menschen müssen nach einem Leben in Arbeit zur Tafel gehen, um über die Runden zu kommen. Das ist entwürdigend. Die sanktionsfreie Mindestrente, die auch das soziokulturelle Existenzminimum bedarfsgerecht sichert, ist das Mindeste, dass wir unserer ältesten Generation schulden. Damit Menschen im Alter erst gar nicht in Armut leben müssen, fordern wir nicht nur im Vergabe- und Tariftreuegesetz im Land; sondern auch im Bund einen gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 14,00 Euro. Wir haben gestern viel von der dramatisch hohen Inflationsrate gesprochen.

Sie frisst doch jetzt schon real ein Monatsgehalt bzw. eine Monatsrente auf. Da muss gegengesteuert werden! Dazu gehört selbstverständlich für uns auch eine Reform der Grundsicherung. Es ist viel zu tun und es muss schnell geschehen. Die Landesregierung steht bei den Menschen in Sachsen-Anhalt in der Verantwortung sich für gleichwertige Lebensverhältnisse einzusetzen. Dabei ist nicht der Vergleich in unserem Land, sondern im gesamten Bundesgebiet zu suchen. Bei diesem stellen wir immer wieder bitter fest, dass gerade Ostdeutschland hinten runterfällt.

Ich erwarte von Ihnen, dass Sie sich selbstbewusst im Bundesrat für unser Land und die Interessen unserer Menschen einsetzen!

Das geschieht viel zu wenig! Klar ist für uns, dass die Interessen armer Menschen im politischen Raum wenig Gehör finden und selten mitgedacht werden.

Das muss ein Ende haben.

Aufgrund anderer Ausgaben auf Bundesebene wird es finanziell schwierig, viele der von uns vorgeschlagenen dringend notwendigen Reformen umzusetzen. Dabei war einer der größten Fehler der Ampelkoalition sich gegen eine Steuerreform, gegen die Vermögensabgabe und gegen die gerade für uns Länder dringend erforderliche Vermögenssteuer auszusprechen. Um es ganz deutlich zu sagen: die Finanzierbarkeit von Kindergrundsicherung, Bafög-Reform, SGB II-Reform, Pflegereform, Rentenreform steht auf der Kippe.

Daher wollen wir, dass sich der Landtag klar zu der Notwendigkeit dieser Reformen bekennt. Ein letztes Wort zur gestern geführten Debatte um die Schuldenbremse: Ich sage Ihnen ganz deutlich, die Schuldenbremse ist eine Zukunftsbremse!

Sie nützt nicht nur der aktuellen und späteren Generation nicht, sondern sie schadet sogar! Von Ausgaben, die der Staat heute tätigt, profitieren auch die Menschen, die Morgen leben werden. Umgekehrt sind die heute ausbleibenden Ausgaben bspw. Im Bereich der Bildung, im Sozialen, in der Umwelt auch für zukünftige Generationen verheerend.

Daher ist auch nicht ungerecht, zukünftige Generationen finanziell am aktuellen Gemeinwesen zu beteiligen. Ungerecht wäre, es nicht zu tun und sie dadurch zu belasten. Die aktuelle Situation zeigt es doch ganz dramatisch:

Die Pandemie hat dafür gesorgt, dass sehr schnell sehr viel Geld da sein musste. Da meine ich nicht nur das Geld für Impfstoffe. Das war nicht planbar. Schauen Sie sich die Gesundheitsämter an. Wir wussten schon lange, dass sie im erheblichen Maße unterbesetzt waren. Das hat nur niemanden interessiert und DANK der Monstranz der schwarzen Null bestand auch kein politischer Wille etwas daran zu ändern.

Jetzt ist die Not da und es muss von jetzt auf gleich nicht nur viel Personal gefunden, sondern eben auch bezahlt werden. Das gleiche könnte ich für andere Bereiche im öffentlichen Bereich ebenfalls ausführen. Ich denke aber, dass Sie mich verstanden haben. Im Übrigen sieht transparente Politik für mich auch ganz anders aus: Wenn eine Mehrheit im Parlament will, dass Geld in die Schuldentilgung fließt, dann kann sie das mit und ohne Schuldenbremse beschließen. Dass das im Idealfall in einer Zeit des Aufschwungs und nicht der wirtschaftlichen Krise geschieht, ist meines Erachtens selbstverständlich. Das eröffnet dann übrigens auch Handlungsspielräume für Zeiten der Krise. Ich freue mich auf die Debatten in den Ausschüssen und hoffe, dass wir zeitnah zu einem Beschluss in der Sache kommen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.