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Eva von Angern zu TOP 3: Regierungserklärung der Ministerin für Justiz und Gleichstellung Frau Keding zum Thema "Herausforderungen für die Justiz in Sachsen-Anhalt - zuverlässig, zeitgemäßg, zugewandt"

Anrede,

Justiz in Sachsen-Anhalt: Zuverlässig – zeitgemäß – zugewandt.

Ich mag ja Alliterationen - in der Dichtung und Literatur, in der Alltagsrhetorik oder in der Sprache der Werbung sowie der Medien. Man nimmt an, dass der Ursprung dieser Stilfigur im Bereich magischer und beschwörender Formeln liegt. Die heutige Zielrichtung liegt oft in großer Einprägsamkeit und Erreichbarkeit besonderer Aufmerksamkeit für ein bestimmtes Thema oder Produkt. Und die Justiz in Sachsen-Anhalt verdient großer Aufmerksamkeit.

Denn auch schöne und vielversprechende Worte können nicht über die aktuelle Situation und problematische Tatsachen hinwegtäuschen. Ich erinnere deshalb gern an den Beitrag in der Mitteldeutschen Zeitung vom 8. Januar dieses Jahres unter dem Titel: „Personalmangel: Sachsen-Anhalts Justiz ächzt unter Arbeitsbelastung“. Ehricherweise müssen wir konstatieren, dass es in den letzten Jahren vor allem um den Personalmangel in den Schulen, Kitas und bei der Polizei ging. Unsere Landesverwaltung und der Bereich der Justiz spielten selten eine übergeordnete Rolle.

Das fällt uns nun auf die Füße. In diesem hohen Haus und in der Landesregierung wird selten ganzheitlich gedacht. Mosaiksteine werden oft nur einzeln und Stück für Stück betrachtet und nicht zu einem Ganzen, zu einem Bild zusammengefügt. Vom Rahmen, der das Gefüge zusammenhalten soll, dabei ganz zu schweigen. Wie wir nun feststellen: auch in der Politik hat das Folgen.

Sie erinnern sich: Meine Fraktion brachte zu Beginn dieser Wahlperiode einen Antrag unter dem Titel „Personalstrategie in der Justiz - die Dritte Gewalt auf tragfähige Füße stellen" ein. In der Folge fand in diesem Plenarsaal eine Anhörung statt, die in dieser Form für die Justiz in diesem Land als einmalig zu bezeichnen ist. Ich wage die These, dass es ohne unseren Antrag und ohne die deutlichen, kritischen Worte der verschiedenen Interessenvertreter*innen bei der Anhörung keinen so entscheidenden Schritt für den aktuellen Haushalt (Einstellung von Haushaltsmitteln sowie Personalstellen) gegeben hätte.

Der Justizministerin sei dabei zugebilligt, dass sie 2016 neu im Amt war und sich auch nicht als beratungsresistent erwiesen hat. Daher gehe ich davon aus, dass es auch nicht bei diesem ersten Schritt bleiben wird, sondern, dass es im Interesse des Rechtsfriedens der Bürger*innen, aber auch im Interesse der Richterschaft, Staatsanwaltschaft sowie der Beschäftigten im Bereich der Justiz weiter in diese Richtung gegangen wird.

Und meine Damen und Herren, es MUSS weiter gegangen werden. Denn wenn wir den Slogan dieser Regierungserklärung „Zuverlässig, Zeitgemäß, Zugewandt“ wirklich ernst nehmen, dann bedarf es noch vieler Anstrengungen und Schritte in Richtung einer modernen Justiz.

Als LINKE teilen wir die Zielbeschreibung der Überschrift der Regierungserklärung ausdrücklich: Wir wollen einen modernen, selbstverständlich gewalten-geteilten Rechtsstaat. Einen Rechtsstaat, dem die Menschen vertrauen. Denn ohne Vertrauen in den Rechtsstaat sinkt auch das Vertrauen in die Demokratie. Die Folgen davon kennen wir aus der Geschichte.

Sachsen-Anhalt und vor allem die hier lebenden Menschen brauchen eine unabhängige Justiz, die so ausgestattet ist, dass sie arbeitsfähig ist. Arbeitsfähig ist dabei das große Wort, dessen Definition wir heute hier, aber auch in den Beratungen zum nächsten Doppelhaushalt zu beraten und entsprechend zu untersetzen haben. Die für 2019 und Folgejahre geplanten Neueinstellungen sind ein erster Schritt, aber bei weitem nicht die Rettung. (Problem wird insbesondere auch sein, die Stellen entsprechend mit Fachkräften zu besetzen.)

Wir wollen keinen Rechtsstaat nach Haushaltslage. Wir brauchen eine bürgernahe Struktur der Gerichtsstandorte. Wir brauchen weiterhin einen Zugang für jedermann auch wenn persönlich die erforderlichen finanziellen Mittel unzureichend sind und fehlen. Wir brauchen angemessene Verfahrensdauern.

Das ist ein schwieriges Thema.Eine einfache schwarz-weiß-Malerei ist hier nicht angebracht und hilft uns an dieser Stelle auch nicht weiter. Wir wissen, wenn in gerichtlichen Verfahren die Einholung von Gutachten erforderlich ist, verzögern sich unweigerlich damit Verfahrensdauern. Dann muss dies aber auch transparent erklärt werden, und dann müssen letztendlich auch Prioritäten gesetzt werden.

Es ist gut, dass mit dem FamFG eine Monatsfrist für den ersten Termin verbindlich festgelegt wurde. Doch alle Protagonisten müssen auch in die Lage versetzt werden, diese Frist mit aller für den Einzelfall erforderlichen Sorgfalt wahren zu können. Damit spreche ich die Gerichte, aber auch die Jugendhilfe und die Situation der Verfahrensbeistände an. Zu letzteren - den Verfahrensbeiständen - ist mir an dieser Stelle noch mal wichtig, dass wir uns gemeinsam auf Bundesebene für eine höhere Qualifikationsanforderung einsetzen.

Wir reden hier über nicht mehr und nicht weniger als über den Verfahrensbeistand von Kindern. Sie sollen ihre Interessen im Familiengerichtsverfahren vertreten. Das ist an sich schon höchst problematisch für die Kinder. Wenn wir es zulassen, dass das Vertrauen von Familien in die so wichtige Institution des Verfahrensbeistands nach und nach verloren geht, haben wir eine wichtige Chance der Friedensstiftung in Familien im Interesse von Kindern vertan!

Anrede, Doch es gibt noch weitere BAUSTELLEN - auch im wahrsten Sinne des Wortes - in unserem Land: Spontan wird insbesondere den Hallensern unter Ihnen die JVA „Frohe Zukunft“ und der damit verbundene Neubau einfallen. Ein bitter-süßer Name für einen Gefängnisstandort.

Meine Damen und Herren, es wird Zeit, dass dieses Haus die erforderlichen Entscheidungen zu den künftigen Gefängnisstandorten trifft. Ein Hinausschieben auf die lange Bank ist weder im Interesse der Gefangenen noch im Interesse der Bediensteten.

Alternativ ist doch nur noch möglich, dass wir erheblich beim Personal aufstocken. Die Frage ist doch: Wollen wir das? Die derzeitige Gefängnisstruktur ist nur mit Ach und Krach mit der derzeitigen Personalsituation aufrecht zu halten. Die Neueinstellungen der Vergangenheit, die sich als sehr schwierig erwiesen haben, und die der Zukunft sind lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein.

Anrede,

Das Ziel des Strafvollzugsgesetzbuches: namentlich der Resozialisierungsauftrag ist kaum oder nicht mehr umsetzbar. Dass wir damit zugleich mit der Sicherheit der Menschen in Sachsen-Anhalt spielen - auch mit deren subjektiven Sicherheitsgefühl -wird häufig verkannt. Bei Sicherheit denken alle zuerst an die Polizei. Das ist grundsätzlich nicht falsch. Doch jeder sollte sich bewusst machen, dass eine Haftzeit grundsätzlich begrenzt ist. Und das ist auch richtig.

Auftrag des Staates sollte es also sein, alles Mögliche dafür zu tun, dass an die Haftzeit ein Leben in Freiheit ohne Straftaten anschließt. Deshalb erachten wir als LINKE den derzeitigen Zustand auch als grob fahrlässig.Dafür sind ausdrücklich nicht die Anstaltsleiter und -leiterinnen verantwortlich. Hier sind das Parlament und die Landesregierung in der Verantwortung.

Anrede,

Tja, und dann ist doch noch eine weitere sehr, sehr große Baustelle: Die ELEKTRONISCHE AKTE. Immerhin war der Rechtsausschuss im vorvergangenen Jahr in Estland und hat sich angeschaut, wie so etwas hervorragend funktionieren kann. Bemerkenswert, was ein so kleines Land Großes leisten kann. Die Tatsache, dass dort überall auch unproblematisch freies W-LAN zur Verfügung stand, könnte ich jetzt unter den Tisch fallen lassen. Doch in bin in der Opposition und muss natürlich auch den Finger in diese Wunde legen. Eine App, sehr geehrte Damen und Herren von der CDU, um Herauszufinden, wo die weißen Flecke in Sachsen-Anhalt sind, klingt und ist vielleicht ganz nett. Doch bei der regional ausgewogenen Zusammensetzung des Landtages traue ich uns allen zu, dass wir diese weißen Flecken schnell alleine zusammen getragen bekommen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, in Zeiten der fortschreitenden Digitalisierung brauchen wir dringend bessere Arbeitsbedingungen für die Justiz. Und dazu gehört nicht nur ein besserer Zugang zum Landesnetz, sondern eben auch eine schnellere Einführung der elektronischen Akte. Wir machen uns im europäischen Vergleich langsam lächerlich als Entwicklungsland oder Träger der roten Laterne.

Angesichts der heutigen Regierungserklärung werde ich Sie natürlich auch nicht mit einem Dauerbrenner sämtlicher Haushaltsberatungen der letzten - ich glaube fast - 10 Jahre verschonen: die Situation der Rechtsmedizin in Sachsen-Anhalt. Es ist inzwischen meines Erachtens eine peinliche Farce!

Jeder hier im Hause würde sicher unterschreiben, dass die Interessen der Opfer von Straftaten gewahrt sein müssen. Dazu gehört dann aber auch, dass wir das rechtsmedizinische Institut mit den dafür erforderlichen Mitteln ausstatten müssen. Für die Unwissenden unter Ihnen verweise ich gern auf meine entsprechende Kleine Anfrage zum Thema in der letzten Wahlperiode (KA 7/162) In der Antwort hat sich die Landesregierung (//362) sogar die Mühe gemacht, meinem Wunsch entsprechend, einen Ländervergleich hinsichtlich der Finanzierung in allen Bundesländern vorzunehmen. Überraschendes Ergebnis: in keinem Bundesland unserer Republik arbeitet ein rechtsmedizinisches Institut kostendeckend. Daran hat auch die letzte Reform des Justizentschädigungsgesetzes nichts Wesentliches geändert.

Nun können wir eine aus meiner Sicht zwingend fachpolitisch im Rechts-, Sozial- und Innenausschuss zu führende Diskussion gern immer wieder in den Finanzausschuss verlegen. Allerdings müssen wir dann irgendwann damit rechnen, dass dann eine allein haushaltsmotivierte Entscheidung getroffen wird. Das halte ich für höchst problematisch und dem Thema für nicht angemessen.

Nach Auffassung der Linksfraktion müssen die Fachausschüsse definieren, welche Aufgaben durch das Rechtsmedizinische Institut vorgehalten werden müssen und ob es dabei Leistungen geben soll, die den Betroffenen kostenfrei zur Verfügung stehen sollen. Ich kann bereits jetzt ankündigen, dass meine Fraktion hierzu parlamentarisch initiativ werden wird. Daher belasse ich es bei diesen Ausführungen.

Zusammenfassend lässt sich feststellen: Es ist ein aus unserer Sicht nicht ganz glücklich gewählter Zeitpunkt für eine Regierungserklärung der Justizministerin unter dem Titel „Zuverlässig, Zeitgemäß, Zugewandt“ – wenn man den Ist-Zustand in der Justiz betrachtet.

Doch eine jetzige Bestandsaufnahme ist wiederum notwendig, um die entsprechenden Maßnahmen ergreifen zu können, um in naher Zukunft die Justiz in Sachsen-Anhalt „Zuverlässig. Zeitgemäß. Zugewandt.“ – und ich möchte an dieser Stelle noch ergänzen: „Modern. Bürgernah. Präsent. Zügig.“ zu gestalten.

Doch seien Sie versichert, dass wir Sie bei der Umsetzung dieses Vorhabens weiterhin begleiten und im parlamentarischen Sinne anspornen sowie kritisch und konstruktiv mitarbeiten werden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!