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Eva von Angern zu TOP 2: Regierungserklärung des MP Dr. Reiner Haseloff zum Thema: "30 Jahre Deutsche Einheit - 30 Jahre Sachsen-Anhalt"

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

„30 Jahre Deutsche Einheit – 30 Jahre Sachsen-Anhalt“ – eine viele Seite umfassende Geschichte von Erfolgen, Niederlagen, empfundenen und tatsächlichen Ungerechtigkeiten, von gelungenen wie gescheiterten Neuanfängen, vor allem aber: die Geschichte von Millionen Menschen, die all dies erlebt haben. Zu diesen 30 Jahren gehören Milliardentransfers, die Ostdeutschland in der Tat verändert haben. Dazu gehören aber ebenso das unheilvolle Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“, das Wirken der Treuhand, der Transfer von Menschen nach Ostdeutschland, die fast flächendeckend Führungspositionen innehaben. In diese Zeit fällt auch, dass sich Deutschland wieder an Kriegen beteiligt und nicht zu vergessen: die Agenda 2010, die bis heute zu tiefgreifenden sozialen Verwerfungen und Brüchen für sehr viele Menschen geführt und die Kinderarmut gefördert und verstetigt hat.

Natürlich müssen wir bei diesem Thema auch über die DDR reden!

Meine Partei und auch ich selbst haben uns dazu bekannt und bekennen uns dazu, die zentrale Verantwortung für das Scheitern der DDR zu tragen. Wir verantworten, dass die sozialistische Idee im real existierenden Sozialismus der DDR zu einer freiheitsverachtenden sozialistischen Diktatur und zu einem maroden, die natürlichen Lebensgrundlagen verschlingenden Wirtschaftssystem verkommen ist. Und ich füge hinzu: Für mich als Juristin, die auf das Grundgesetz vereidigt worden ist, wiegt besonders schwer, in welch eklatanter Weise durch die SED und den Staat DDR grundlegende Menschen- und Bürgerrechte gerade dann nichts Wert waren, wenn es um den Machterhalt ging. Das vergessen wir nicht und wir bekennen uns zu unserer Verantwortung!

Ich füge aber auch hinzu: Verdrängen Sie bitte endlich nicht länger, dass die SED ohne Zweifel nicht die alleinige Verantwortung für diese Entwicklung trug. Zur CDU der DDR, deren Mitglied Sie, Herr Ministerpräsident, in meinem Geburtsjahr 1976 geworden sind, hätten Sie heute etwas sagen können. Leider haben Sie das verabsäumt. Wie glaubhaft ist es angesichts dieses blinden Fleckes, wenn Sie hier in diesem Saal wieder und wieder Ihre DDR-Triaden an meine Fraktion adressieren? Heute regieren LINKE in Ländern mit und stellen in Thüringen den Ministerpräsidenten. Wir sind kommunal stark verankert, als verlässliche Partnerin anerkannt und arbeiten nicht selten auch mit der CDU vor Ort zusammen.

Schon deshalb bringt es mich auf die Palme, wenn Sie, Herr Ministerpräsident, in einem Interview in der Leipziger Volkszeitung zitiert werden:

„Das Attentat von Halle hat gezeigt, dass wir aus der demokratischen Mitte noch viel tun müssen, um Radikalisierung und Rechtsextremismus zu bekämpfen. Außerdem war es mir immer wichtig, nicht die Ränder des politischen Spektrums zu stärken. Deshalb ist für mich eine Zusammenarbeit mit der LINKEN und der AfD nicht vorstellbar.“

Sie begründen mit dem Attentat von Halle und dem Kampf gegen Rechtsextremismus, nicht mit meiner Partei zusammenarbeiten zu wollen. Das ist geschichtsvergessen und verantwortungslos. Sie werden das Land nicht unter Ausgrenzung der LINKEN einen und zukunftsfest machen können!

 

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

wir feiern heute zu Recht den 30. Jahrestag der Deutschen Einheit. Ein Jubiläum, das uns daran erinnert, dass Mut die Verhältnisse zum Tanzen bringen kann und gebracht hat. Ein Jubiläum, das für Freiheit und Demokratie steht.

Aber auch ein bittersüßes Jubiläum, das uns daran erinnert, dass die letzten 30 Jahre keine einfachen waren.

Es wird niemandem schlechter gehen als zuvor, dafür vielen besser“, sagte Helmut Kohl am 1. Juli 1990.

Mit Zuversicht gingen die meisten Ostdeutschen in die Einheit. Sie hofften auf  gleichen Lohn für gleiche Arbeit, gleiche Ausbildungs- und Karrierechancen, Gleichberechtigung der Geschlechter und gute Renten. Sie hofften auf Freiheit und Demokratie, auf Soziale Sicherheit und Gerechtigkeit. Aber für zu viele Menschen haben sich diese Erwartungen bis heute nicht erfüllt. Mit dem Untergang der DDR wurde auch die soziale Infrastruktur, die soziale Sicherheit aus den Angeln gehoben.  Es wurden Biographien unsichtbar gemacht, Geschichten nicht mehr erzählt. Die Erzählung der Wiedervereinigung ist bisher kein Märchen mit Happy End.

Sehr geehrte Damen und Herren,

die ostdeutsche Revolution von 1989 war nicht nur ein Abgesang auf die DDR und  ein Aufbäumen gegen Überwachung und Unterdrückung. Sie war auch eine mutige Reformbewegung für mehr Demokratie und Soziale und ökologische Gerechtigkeit. Von diesem Teil der Geschichte ist aber nicht viel übrig geblieben.

Stattdessen frage ich: Wo stehen wir heute? Gucken wir uns dafür die harten Fakten an:

Gegen den Bundestrend sinkt in unserem Land die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in Vollzeit. Menschen in Sachsen-Anhalt arbeiten mehr und verdienen weniger. In kaum einem Land ist die Kinderarmut so hoch wie hier. Das Bildungssystem geht am Stock. Unsere Kommunen sind die ärmsten im Osten. Antisemitismus, Rassismus, Rechtsextremismus sind bis in die Sicherheitsbehörden tief verankert.

Dass Teile von Nordrhein-Westfalen jetzt auch so arm sind wie Sachsen-Anhalt ist nicht die Angleichung der Lebensverhältnisse, wie wir uns sie vorstellen.

Und gucken wir auch auf die kommenden Herausforderungen:

Neben der Bekämpfung der Armut und schlechten Löhne steht vor allem eins auf der Agenda: Der Strukturwandel.

Mit dem Kohlausstieg droht noch mehr Gegenden die systematische Verarmung - natürlich sind wir für den schnellst möglichen Ausstieg aus der Kohle

Aber für die meisten Menschen in diesem Land bedeutet das Wort “Strukturwandel” lediglich schlechter bezahlte Jobs und sinkender Lebensstandard. Und wer könne es ihnen verübeln, da misstrauisch zu sein?

Es muss also in summa darum gehen gemeinsam mit den Betroffenen neue Perspektiven zu schaffen.

Gerade in Sachsen-Anhalt haben wir die große Chance, unsere Innovationsmotoren – die Technologie- und Gründerzentren, die Forschungsinstitute, die Hochschulen – zu nutzen und Vorreiter zu werden. Politisches Handeln ist immer dann längerfristig erfolgreich und nachhaltig, wenn die Menschen einbezogen werden, denn das erst schafft die nötige Akzeptanz.

Das gilt im Übrigen auch ganz akut, ganz aktuell für die Corona-Krise

Eine Krise, die uns nun schon lange beschäftigt und beschäftigen wird und die auf all die von mir geschilderten Probleme noch oben draufkommt.

Für uns, für DIE LINKE steht vor allem eins im Zentrum: Schutz vor dem Virus, Schutz vor sozialem Absturz und Schutz der demokratischen und Freiheitsrechte müssen einen Einklang bilden. Bei jeder einzelnen Maßnahme.

Corona zeigt uns die schwachen Stellen unseres Systems. Schlagartig wurden bereits bestehende soziale Brüche und Verwerfungen bloßgelegt. Rücksicht und Achtsamkeit sind das Gebot der Stunde. Solidarität statt Ellenbogen - darum muss es gehen. Corona zeigt auch, wie fragil unser Gesundheitssystem ist und wie falsch die massenhafte Privatisierung der Krankenhäuser war und ist. Deswegen ist es wichtig, dass die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie seriös behandelt werden.

Und da muss ich ihnen sagen, Herr Ministerpräsident, finde ich ihr Auftreten schlicht befremdlich. Mal stellen Sie sich gegen die konsequente Durchsetzung der Maskenpflicht, dann wollen sie die Maßnahmen knallhart durchsetzen, aber nur durch andere in anderen Ländern - das ist ein Hickhack, dass keine Sicherheit bringt, das Vertrauen verspielt und das die Menschen verwirrt. Haben sie keinen Plan oder sind sie einfach zu unsicher für eine klare Haltung?

Vielleicht nehmen Sie sich ein Beispiel an einem südlichen Nachbarland. Dessen Ministerpräsident hat einen Zukunftsplan für sein Land vorgestellt:

  • Land und Stadt gemeinsam – Stärkung der Regionen
  • Mobilität und Modernität zusammendenken
  • Ökologisch und wirtschaftlich: Lebenswerte Welt erhalten
  • Wissenschaftsland: ein digitaler Aufbruch
  • Bildungs- und Chancengleichheit
  • Solidarität, Vielfalt, Weltoffenheit
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  • So kann man eben auch regieren. Meine Erfahrung ist: Von einer CDU dominierten Landesregierung ist da nicht viel zu erwarten. Nicht zuletzt deshalb hat meine Partei, DIE LINKE gerade erst Vergleichbares für Sachsen-Anhalt erarbeitet und auf unserem Parteitag beschlossen.

Und zwar unter dem Motto: Solidarität statt Ellenbogen. Auch eine Lehre aus den 30 Jahren Deutsche Einheit.

Sehr geehrte Damen und Herren,

wenn wir aus dem Zusammenbruch der DDR etwas gelernt haben, dann, dass Freiheit und Sicherheit niemals gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Dass Freiheit und Sicherheit zusammengehören. Dass Soziale Sicherheit und Gerechtigkeit Freiheit schaffen. Das gilt 30 Jahre nach dem Ende der DDR und das gilt im Übrigen auch für den Kampf gegen Corona.

 

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!­­