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Eva von Angern zu TOP 2: Langfristige Strategie statt wiederholter Schließungen

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

sehr geehrte Damen und Herren,

Gestern verhandelte und beschloss der Bundestag das „Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“. Bundestag und Bundesrat in einer Sondersitzung stimmten noch am selben Tag in einem Eilverfahren für die von der großen Koalition geplanten Änderungen im Infektionsschutzgesetz. Bei aller berechtigter Kritik an diesem Gesetzentwurf sage ich mit aller Deutlichkeit:

All jene, die das neue Infektionsschutzgesetz mit dem „Ermächtigungsgesetz“ aus dem Jahr 1933 vergleichen, missbrauchen die Opfer des 2. Weltkriegs in absurder und widerlicher Weise

Deshalb an dieser Stelle ein kurzer Rückblick in die Geschichte:

Am 23. März 1933 hatte Adolf Hitler, hatten die Nationalsozialisten dem Reichstag das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich" vorgelegt, das sogenannte "Ermächtigungsgesetz". Mit Hilfe und auf Grundlage dieses Ermächtigungsgesetzes haben die Nationalsozialisten im Jahr 1933 den Reichstag ausgeschaltet, um die Republik abzuschaffen und eine Diktatur zu errichten. Das Ermächtigungsgesetz galt als rechtliche Hauptgrundlage der nationalsozialistischen Diktatur, weil damit das die elementare Grundlage des materiellen Verfassungsstaates bildende Prinzip der Gewaltenteilung durchbrochen wurde. Die Gewaltenteilung war faktisch aufgehoben. Die Nationalsozialisten nahmen sich die Macht, durch Gesetze die Verfassung zu ändern und faktisch Grundrechte außer Kraft zu setzen. Bereits vor und zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Ermächtigungsgesetz waren etliche Parlamentarier*innen bereits inhaftiert, außer Lande, im Untergrund oder ermordet. Einer staatlichen Willkür waren Tür und Tor geöffnet.

Dieser Blick in die Geschichte ist vor allem für jene gedacht, die unter diesem Label mit Rechtspopulisten und Rechtsextremisten demonstrieren, in dem angeblichen Willen Grundrechte zu wahren. Tatsache ist: genau dieses Grundgesetz ermöglicht ihnen, frei zu demonstrieren und frei ihre Meinung zu sagen.

…und das ist gut so.

 

Frau Ministerin Grimm-Benne, liebe Petra, ich werde Sie immer kritisieren, wenn Sie aus meiner Sicht Ihre Kompetenzen überschreiten oder politisch aus meiner Sicht falsche Schwerpunkte setzen. Doch wenn Ihnen Diktatur vorgeworfen wird, kann ich nur sagen, dass das nicht nur „üble Nachrede“ ist, sondern dass damit sämtliche Diktaturen unserer Geschichte und der Gegenwart verharmlost werden. Diesen Vorwurf weisen Sie völlig zurecht vehement zurück.

 

Sehr geerhte Damen und Herren,

meine Bundestagsfraktion hat dem Infektionsschutzgesetz nicht zugestimmt, weil ein großer Teil davon nicht zu der von Gerichten geforderten klaren gesetzlichen Grundlage führt.

Die Maßnahmen und ihre Voraussetzungen bleiben weiter unbestimmt, die Entscheidungsmacht konzentriert sich weiter bei der Regierung, die Parlamente bleiben weiter außen vor. Kurz gesagt: Wir und die unsere Bevölkerung wissen immer noch nicht WER darf WANN WARUM WELCHE Maßnahme anordnen.

Es sind mit dem Gesetz zwar Verbesserungen zu verzeichnen, aber jeder Eingriff in Grund- und Freiheitsrechte bedarf einer Debatte im Bundestag.

Jeder Eingriff in die Grundrechte muss ausschließlich im Parlament beschlossen werden.Um es auf einen Nenner zu bringen:

Das Gesetz verkörpert eben nicht eine Stärkung der demokratischen Mitbestimmung in der Corona-Krise, die dringend notwendig wäre, um eine breite Akzeptanz für dringend nötige Maßnahmen in der Bevölkerung zu erreichen. Es hat den Anschein, dass wir den Bedarf an Kommunikation für mehr Akzeptanz sehr unterschiedlich einschätzen.

Das besorgt mich erheblich und damit sind wir thematisch mitten in unserem Antrag. Nach dem die Sondersitzung des Landtages am 3. November deutlich gemacht hat, dass der Bedarf an einem Mehr an parlamentarischer Beteiligung sehr unterschiedlich hier in diesem Haus eingeschätzt wird, haben wir uns zu dem heute zu beratenden Antrag veranlasst gesehen. Bei allen noch offenen Fragen im Umgang mit der Pandemie bleibt meine Fraktion dabei:

Wir wollen hier im Parlament eine öffentliche Debatte über die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie führen, um deren Sinnhaftigkeit zu diskutieren und damit auch ihre Akzeptanz zu erhöhen. Die öffentliche Debatte und die Akzeptanz stehen für uns keinesfalls im Widerspruch. Denn klar ist: wir sind noch lange nicht am Ende der Pandemie. Das müssen wir auch so ehrlich kommunizieren – auch wenn wir dafür keine Blumengrüße erhalten. Wir dürfen uns nicht von Familienzusammenkunft zu Familienzusammenkunft anlässlich von Feiertagen, von Ostern über die Sommer- und Herbstferien zum Weihnachtsfest und Silvester mittels Aktionismus hangeln. Es bedarf langfristiger und vor allem greifender Maßnahmen von breiter Akzeptanz.

Ja, im März und April waren wir im höchsten Maße überrascht und planlos. Mich irritiert jedoch, dass auch hier im Land im Jahr 2020 auf den ewigen Sommer gehofft wurde, ohne die Expert*innen der Leopoldina ernst zu nehmen, die schon frühzeitig gesagt haben, dass auf den Sommer ein schwieriger Herbst folgen wird.

Es gibt weder im Bund, noch im Land einen wirklichen Plan. Der Sachsen-Anhalt-Weg ist vor allem eines: eine Monstranz, die Sie vor sich hertragen.

Ich nehme auch keinen Druck unseres Ministerpräsidenten gegenüber der Kanzlerin in die Richtung wahr. Herr Haseloff soll jetzt bitte nicht den Söder machen, aber ich erwarte, dass sie einen Plan vorlegen, wie es in Sachsen-Anhalt weitergeht und das sie Druck bei der Kanzlerin machen, dass die Maßnahmen im breiten demokratischen Konsens beschlossen werden und sich nicht von Verordnung zu Verordnung gehangelt wird. Im Bund wurden über 200 Milliarden Euro Hilfsgelder beschlossen. Für 2021 reden wir über weitere 96 Milliarden Euro.

Haben sie schon irgendwo einen Antrag für die Novemberhilfen gesehen? Wir haben heute übrigens den 19. November. Könnte knapp mit der Auszahlung werden.

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir brauchen eine langfristige Strategie, eingebettet in eine ehrliche und transparente Debatte. Ehrlichkeit und Transparenz schaffen Vertrauen.

Mit Transparenz meine ich übrigens nicht das „Livetickern“ aus der Runde der Ministerpräsident*innen mit der Kanzlerin. Die BILD-Zeitung darf nicht vor den Parlamenten in Kenntnis gesetzt werden

Das verspielt eher Vertrauen. Als LINKE meinen wir die Transparenz in der Debatte um den sinnvollsten Umgang mit der Pandemie.

Mir konnte bisher niemand die Frage beantworten, warum ausreichend Tests für 11 plus 11 Fußballspieler zuzüglich des kompletten Stabs da sind, um durch halb Europa zu fliegen; dass Profisportler*innen und in Sachsen-Anhalt Ballettschulen trainieren dürfen, aber der Breitensport untersagt ist.

Mir konnte bisher auch noch niemand die Frage beantworten, warum Kinder bis Hortschluss mit mehr als 20 Kinder spielen dürfen, sie sich aber zu Hause nur mit einem weiteren Freund treffen dürfen. Mir ist schon klar, dass das Verbot des Profisports erhebliche Folgen hat.

Die Folgen für unsere Kinder sind aber nicht unerheblich, nur leider nicht sofort messbar! Ich möchte auf den Präsidenten des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers verweisen, der sich Gestern in der Debatte zu Wort gemeldet.

Einen Tag nach dem „Autogipfel“ im Kanzleramt….

 

Ich zitiere Heinz Hilgers:

„Es ist furchtbar für das Kind, das sich zwischen seinen Freunden entscheiden soll und es ist furchtbar für jenes Kind, das im Zuge einer solchen Entscheidung vielleicht abgewiesen werden musste”. Eine solche Entscheidung, “die mit so viel Potential für Zurückweisungen und Tränen verbunden ist”, solle Kindern nicht auferlegt werden. In den jüngsten Vorschlägen für Kontaktbeschränkungen stehen vor allem Kinder und Jugendliche im Zentrum, gleichzeitig läuft in den Bürohäusern deutscher Innenstädte ein völlig ungeregelter Präsenzbetrieb weiter. Diese Jobs könnten Angestellte “genauso gut und vor allem sicher von Zuhause erledigen”. So Heinz Hilgers.

Recht hat er!

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich komme wieder zu unserem Antrag zurück:

Es gibt Bereiche, in denen die Betroffenen bereits ihre Hausaufgaben gemacht haben und es gibt Bereiche, in denen noch einiges zu tun ist. Komme ich zu ersterem fallen mir kulturelle Einrichtungen, dass Gast- und Beherbergungsgewerbe ein. Sie haben die letzten Monate vorbildlich genutzt, um Hygienekonzepte zu entwickeln und umzusetzen.

Sie haben viel Zeit, Energie und vor allem auch Geld investiert. Denn natürlich wollen sie ihre Einrichtungen öffnen und natürlich wollen sie sich und auch ihre Gäste schützen.

Sie gehören zum öffentlichen Leben unverzichtbar dazu. Dieses öffentliche Leben wurde für den Monat November abgeschaltet.

Aber ich will nicht nur über die letzten Wochen reden. Das ist Geschichte. Die entscheidenden Fragen sind doch:

Wie oft können wir Schließungen noch veranlassen, ohne erheblichen Schaden in diesen Bereichen zu verursachen? Und ist eine derartige pauschale Schließung der jetzigen Situation überhaupt angemessen? Ja, es wurden vom Bundestag umfangreiche Hilfen beschlossen.

Doch Tatsache ist auch, dass diese Hilfen bei den wenigsten Betroffenen bisher angekommen sind. Der Bundesfinanzminister sagte am Wochenende sehr deutlich und nachvollziehbar: zuerst muss die Forschung für ein Impfpräparat finanziert werden und dann kommen die Hilfsleistungen an die Wirtschaft. Mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr in diesem Jahr.

Es macht nun wenig Sinn, die Forschung gegen die Wirtschaft auszuspielen. Deshalb lasse ich dieses Argument außen vor.

Entscheidend ist für uns als LINKE, was wir mit diesem Wissen anfangen:

Wenn wir nicht wollen, dass unter unseren Augen das gesellschaftliche Leben kaputt geht, müssen wir handeln. Wir müssen als Land Sachsen-Anhalt in Vorleistung gehen! Ohne Wenn und Aber und tatsächlich mit wenige bürokratischem Aufwand für die Betroffenen.Zur Situation der Künstlerinnen und Künstler wird mein Kollege Stefan Gebhardt nachher noch etwas sagen und Morgen werden wir unseren Antrag dazu im Rahmen der Aktuellen Debatte behandeln.


Sehr geehrte Damen und Herren,

Oberste Priorität muss bei allen Maßnahmen selbstverständlich die Prävention haben. Zu den bestehenden Hygienekonzepten im Gastgewerbe habe ich bereits etwas gesagt.

Individuell aber auch generalpräventiv wirkt m.E. selbstverständlich das Bußgeld für Maskenverweigerer und des tatsächlichen Vollzuges. Neben dem Abstand ist dies ein Beitrag, den jeder und jede von uns leisten kann, sofern keine gesundheitlichen Gründe dagegensprechen. Eine weitere präventive Maßnahme ist die Teststrategie für Beschäftigte in Schulen, Kliniken und Pflegeeinrichtungen.

Ich halte es für  hochproblematisch, wenn pauschal keine Testung mehr für Schulkinder erfolgt, die Kontakt mit positiv getesteten Mitschüler*innen hatten und sie lediglich in Quarantäne geschickt werden, ohne dass wir über Tests herausfinden, ob sie bereits Überträger gewesen sein können. Ich erinnere noch einmal daran: für den Profifußball sind stets ausreichend und kurzfristige Tests vorhanden.

Ich habe im Übrigen Null Verständnis dafür, dass für den Autogipfel dieser Woche 3 Milliarden Euro locker gemacht worden und die eine Milliarde Euro für Luftfilter an Schulen nicht da ist. Da müssen sie mal Druck machen, Herr Haseloff! Es ist doch Augenwischerei, dass das Projekt damit abgewiegelt wird, dass es nicht innerhalb kurzer Zeit umgesetzt werden kann. Natürlich ist das nicht von heute auf morgen möglich.

Doch wir brauchen mittel- und langfristig diese Luftfilteranlagen und müssen zügig mit dem Einbau gerade in sensiblen öffentlichen Einrichtungen beginnen und nach und nach in allen Kitas und Schulen umsetzen. Wir können aber auch gern wieder Zeit verstreichen lassen wie im Frühjahr diesen Jahres, als monatelang über den Nutzen der Mund-Nasen-Bedeckung öffentlich gezweifelt wurde. Insofern habe ich sogar Sympathie mit der Ungeduld der Kanzlerin.

 

Ich werbe um Zustimmung zu unserem Antrag.

Den Antrag der AfD werden wir ablehnen. Bei dem Antrag der Koalitionsfraktionen werden wir uns enthalten. Hierzu verweise ich auf den Redebeitrag meiner geschätzten Kollegin Buchheim in der Debatte zur Änderung des KVG LSA und im Übrigen auf meine eigenen Ausführungen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!