Eva von Angern zu TOP 15: a) Aktuelle Debatte #IchBinArmutsbetroffen - Politische Entscheidungen sind geboten b) Krisengewinne abschöpfen - Übergewinnsteuer einführen
Sehr geehrter Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
Demokratie und starker Sozialstaat bedingen einander. Eine sozial gespaltene Gesellschaft bedeutet immer auch eine Gefahr für unsere Demokratie. Menschen, die von Armut betroffen sind, haben nicht nur kaum eine politische Lobby. Sie haben auch meist selbst nicht die Kraft, sich politisch zu engagieren. Sie haben keine eigene Stimme im Parlament. Sie gehören diesem nicht an.
Wer könnte es einer alleinerziehenden Mutter verübeln, dass sie neben dem täglichen Überlebenskampf und Spagat zwischen Job und Kindern nicht auch noch die Kraft hat, sich politisch zu engagieren, sondern vielmehr abends erschöpft auf ihrer Schlafcouch mangels ausreichend Wohnraum im Wohnzimmer einschläft?
Anni W. ist eine von diesen Stimmen, die all ihren Mut zusammengenommen und sich unter das Hashtag #ichbinarmutsbetroffen zu Wort gemeldet hat. Inzwischen sind viele Menschen ihrem Beispiel gefolgt.
Sie alle haben den Mut gefunden, einen Satz auszusprechen, der Kraft kostet und wir alle wissen, dass er schambehaftet ist. Niemand ist gern arm und niemand outet sich dann auch noch öffentlich. Denn letztendlich gilt in unserer Gesellschaft das Leistungsprinzip und die Grundidee der FDP, dass jeder sich selbst aus der Armut befreien kann, ist in der Gesellschaft angekommen.
„Wer arm ist, ist selbst schuld daran.“
„Wer arm ist, kann nicht mit Geld umgehen.“
„Wer arm ist, ist zu faul zu arbeiten.“ usw.
Diesen Thesen widerspreche ich ausdrücklich. Das ist absoluter Blödsinn.
Diese Sätze bedienen Ressentiments und sind einer solidarischen Gesellschaft unwürdig. Allein die Tatsache, dass arme Menschen nicht im Parlament vertreten sind, zeigt, dass ihre Perspektive nur selten mitgedacht wird.
Armut ist kein Naturgesetz und meine Vorstellung eines Sozialstaates ist es, dass AUSGRENZUNG überwindet.
Armut ist kein Schicksal und das Recht auf Hilfe, der Armut zu entkommen, ist ein Menschenrecht.
Die Geschichten, aber auch die Kommentare unter dem Hashtag #Ichbinarmutsbetroffen sind haarsträubend.
Für von Armut betroffene Menschen wirkt es wie Hohn, wenn sie, nachdem sie den Mut aufgebracht haben, öffentlich über ihre Situation zu sprechen, dann Tipps zum Sparen von irgendwelchen hippen Investmentberater*innen bekommen.
Über 200.000 Tweets sind es, in denen unsere Kabinettsmitglieder von CDU, SPD und FDP sich mal direkt anschauen können, welche Folgen der Raubbau am Sozialstaat durch Agenda 2010, Krankenhausprivatisierung etc. pp. auf die Menschen hatte und hat. Der allergrößte Hohn ist die Tatsache, dass Hartz IV - Beziehende auch noch das Geld zurückbezahlen sollen, welches sie durch die Einführung des 9 Euro Tickets sparen würden. (Hinweis: nicht in Sachsen-Anhalt)
Das ist erbärmlich.
Es war ein wichtiges Signal, dass der Landtag der letzten Wahlperiode einen Aufruf an die Bundesregierung beschlossen hatte, dass Kindergeld nicht mehr auf Hartz-IV-Leistungen angerechnet werden darf.
Passiert ist leider bisher nichts.
Das Armutsrisiko in Deutschland war schon vor der Pandemie so hoch wie kaum irgendwo in Europa. 2021 erreichte es laut Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes einen neuen Höchststand und es gilt zu befürchten, dass die aktuelle Krise die Situation noch weiter verschärfen wird.
Sachsen-Anhalt liegt aktuell mit über 20% Armutsquote weit über dem Bundesdurchschnitt.
26,2 % der Kinder und Jugendlichen sind armutsgefährdet. Ein unerträglicher Zustand! Das muss ein Weckruf für die Landesregierung sein. Hier muss endlich etwas passieren.
Wir sind hier die Verlierer - sowohl im bekannten Ost-West-Gefälle, als auch im Nord-Süd-Gefälle.
Es ist gut, dass wir den Armutsantrag meiner Fraktion nun in allen Fachausschüssen beraten.
Wir werden für jeden Ausschuss ein Fachgespräch beantragen, um intensiv an der Bekämpfung von Armut und der Abmilderung ihrer Folgen zu arbeiten.
Als LINKE stehen wir bei den Menschen in Sachsen-Anhalt im Wort. Bei den Kindern, Jugendlichen, Alleinerziehenden, aber auch Arbeitnehmer*innen und Rentner*innen.
Deshalb wollen wir heute die Debatte – zum wiederholten Male – um die Übergewinnsteuer erweitern.
Ja, der Satz: „Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.“ (Anleihe bei B. Brecht) ist für eine Vielzahl von Menschen bittere Realität. Denn Armut entsteht, wenn sich Reichtum konzentriert.
Die Menschen in unserem Land erleben täglich hautnah die Folgen des verbrecherischen Kriegs von Russland auf die Ukraine.
Es sind indirekte Folgen, die jedoch viele Menschen hart treffen. Es ist leider noch immer so, dass Sachsen-Anhalt ein Niedriglohnland ist. Wir arbeiten im Durchschnitt am längsten und verdienen dafür deutlich weniger als Arbeitnehmer*innen in anderen Bundesländern.
Wir sind das Land mit dem höchsten Anteil an Sozialhilfempfänger*innen in den Pflegeeinrichtungen. Diese Beispiele ließen sich noch fortsetzen, zeigen aber schon jetzt, dass der Druck in unserem Land - der Druck im Kessel - enorm hoch ist.
Die Menschen müssen entlastet werden, denn ihnen steht das Wasser bis zum Hals bzw. Oberkante - Unterlippe.
Beim Thema Kraftstoffpreise will ich die Absurdität noch einmal auf den Punkt bringen: Der Tankrabatt ist der größte Witz aller Zeiten (nur zum Lachen bietet er keinen Anlass)!
Die Verbraucher wurden nicht entlastet, sondern die Konzerne, denen das Geld schon aus den Ohren kommt und kommen vor Lachen nicht in den Schlaf. Darauf kann und muss es jetzt vom Staat eine klare Antwort geben: Unternehmen, die aktuell vom Krieg und dessen wirtschaftlichen Folgen vermehrt profitieren, müssen an den gesellschaftlichen Kosten beteiligt werden.
Meine Fraktion fordert daher die Landesregierung auf, einem Entschließungsantrag der Länder Bremen, Berlin, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern zuzustimmen, der eine Übergewinnsteuer mit zeitlicher Begrenzung einführen soll. Die Notwendigkeit liegt auf der Hand, wenn man sich allein die Umsatzsteigerungen der Mineralölkonzerne anschaut.
Es gab zwar kurz nach dem Einmarsch russischer Truppen einen Ölpreisschock von 20%.
Während er sich in den Wochen danach aber wieder normalisierte, blieben jedoch die Preise für Endverbraucher auf dem hohen Niveau und Autos wurden und werden monatelang völlig überteuert betankt.
Das betraf alle Tankstellen von allen in Deutschland aktiven Konzernen.
Dass dieses Preiskartell immer noch nicht zerschlagen wurde, sagt viel über den Einfluss der Konzerne auf die deutsche Bundespolitik und die Möglichkeiten des Kartellamtes aus.
Als dann aber nach der Einführung des Kraftsstoffrabatts durch Bundesverkehrsminister Wissing die Preise immer noch nicht gesunken waren, hätte ja eigentlich auch dem letzten Unions- SPD- und Grünenpolitiker klar werden müssen, dass es ohne Zwangsmaßnahmen gegen die Krisengewinnler nicht möglich sein wird, diese an den gesellschaftlichen Kosten zu beteiligen.
Bisher haben die Maßnahmen der Bundesregierung jedoch nur zu noch höheren Übergewinnen geführt.
Bundeswirtschaftsminister Habeck verkündete bereits im März die Idee der Übergewinnsteuer – leider erfolglos. Nun muss der Druck aus den Ländern kommen, denn wir werden den Druck der Menschen spüren! Und ja, wir wollen die Profiteure der Krise zur Kasse bitten.
Die links mitregierten Bundesländer sind aktiv geworden und legten dem Bundesrat nun diesen Antrag vor.
Wir wollen hier niemanden täuschen. Eine Übergewinnsteuer wird den Krieg in der Ukraine nicht beenden und auch nicht alleine die erhöhte Inflation aufhalten.
Dafür sind viele weitere Maßnahmen und Verhandlungen nötig.
Italien, Ungarn, Großbritannien, Ungarn und die USA, samt und sonders nicht eben sozialistischer Umtriebe verdächtig, erheben längst Übergewinnsteuern.
Auch Deutschland sollte dieses Instrument nicht ungenutzt im politischen Besteckkasten vergammeln lassen.
Wir alle wissen, dass nicht zuletzt die Energiekosten mitverantwortlich für eine Inflationsrate um die 8% in ganz Deutschland sind, die im Osten mal wieder höher ausfällt.
Wenn Sie jetzt nicht schnellstens gegensteuern, droht vielen Menschen in Sachsen-Anhalt der Absturz in die Armut.
Gerade ALG-II-Empfangende konnten sich vorher schon nur die allernötigsten Dinge leisten.
Aber es sind gerade diese Dinge des täglichen Bedarfes, die nun täglich teurer werden. Energiekosten sind um fast 40% gestiegen, Lebensmittelpreise um über 11 %.
Der Punkt, an dem man sich noch darüber streiten konnte, ob und bei wem allen Unterstützung notwendig ist, ist lange vorbei. Der Bund, die Länder, Kreise und Kommunen müssen jetzt alle Mittel in die Hände nehmen, um zu verhindern, dass noch mehr Menschen in unserem Land armutsbetroffen sind. Ich möchte nicht, dass sich auch nur ein Mensch in unserem Land im Herbst entscheiden muss, ob er die Heizung hochdreht oder sich etwas zu Essen kauft.
Bitte stimmen Sie unserem Antrag zu!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.