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Doreen Hildebrandt zu TOP 5: Schulgeldfreiheit für Erzieher- und Gesundheitsberufe - neue Wege in der beruflichen Bildung

Sehr geehrte Damen und Herren,

Wir reden heute über ein gesellschaftliches Problem, das lange Zeit keins war.

Die Gesundheitsbranche wächst rasant und entwickelt sich von der reinen Krankheitsbehandlung zur Prävention und Gesundheitserhaltung. Die nichtärztlichen Heilberufe haben erst in den vergangenen 20 Jahren an Bedeutung gewonnen. In einer Gesellschaft, in der wir Menschen immer älter werden und das bei guter Gesundheit, steht Gesunderhaltung mittlerweile im Vordergrund. Physiotherapie oder Diätassistenz waren früher Praxen, in denen Ausnahmefälle behandelt wurden, jetzt gibt es kaum noch Menschen, die nicht schon mal in einer solchen Behandlung waren.

Ebenso sprunghaft angestiegen sind die Anforderungen im medizintechnischen Bereich. Die eingesetzten Geräte in den Krankenhäusern und Arztpraxen werden zahlreicher und moderner.

Gab es vor 30 Jahren nur eine Röntgenabteilung in einer Klinik, stehen dort nun die unterschiedlichsten Diagnosegeräte bereit, die auch jemand bedienen können muss, wie aktuell die medizinisch-technischen Assistentinnen, medizinisch-technische Radiologieassistentinnen, medizinisch-technische Assistentinnen für Funktionsdiagnostik und medizinisch-technische Laboratoriumsassistentinnen.

Eine flächendeckende Ausbildung für diese Berufe, die im Berufsbildungsgesetz geregelt ist und dual durchgeführt wird, war in der Historie also gar nicht nötig. Deshalb kam es zu diesen schulischen Regelungen, die uns jetzt genau vor diese Herausforderungen stellen. Allerdings kann ich mir an dieser Stelle nicht verkneifen, auf die große Anfrage in der 6. Wahlperiode durch Frank Thiel zu verweisen. In den damaligen Antworten der Landesregierung wurde deutlich, dass das Land die Entwicklung in der Gesundheitsbranche als Wirtschaftsfaktor weit unterschätzt hat und in dieser Beziehung einfach mal Trends verpennt hat.

Wenn das Land neben dem Auftrag der Daseinsvorsorge endlich auch die Wirtschaftsleistung der Gesundheitsbranche anerkennt, dann kommt vielleicht auch beim Letzten die Einsicht in die Notwendigkeit von Änderungen in den Ausbildungen.

In der Erziehung hatten wir bis vor wenigen Jahren im Osten den Vorteil, dass es bereits seit vielen Jahren flächendeckende und ausreichende Kita-Plätze gab und durch die kontinuierliche Ausbildung in der DDR auch genügend auf frühkindliche Bildung geschultes Personal vorhanden war. Allerdings verabschieden sich – wie derzeit in fast jeder Branche –diese Erzieherinnen und Erzieher in die wohlverdiente Rente. Die jungen Leute, die heute ihre – meist 5-jährige - Ausbildungszeit erfolgreich beenden, stehen dank bundesweitem Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz vor der Wahl, wo sie arbeiten möchten, inklusive ob zu besserem oder schlechterem Betreuungsschlüssel, besserer oder schlechterer Bezahlung oder auch mehr oder weniger Vorbereitungszeit.

Dass diese Wahl dann nicht unbedingt auf Sachsen-Anhalt fällt, dürfte jedem bekannt sein. Heute, in Zeiten eines Fachkräftemangels, der wenig durch die gute Wirtschaftsleistung im Land und viel mehr durch die demografische Entwicklung bedingt ist, müssen Wege gefunden werden, den Fachkräftebedarf zu sichern. Dazu gehören gute Arbeitsbedingungen und gute Löhne. Aber gerade die Gesundheitsbranche hat da ein erhebliches Imageproblem. Hier geht es um schwere körperliche und seelisch belastende Arbeit, die zu schlecht bezahlt wird. Solange das so bleibt, werden sich immer zu wenig Berufswähler für einen Beruf in Gesundheit und Pflege entscheiden. Erschwerend kommt hinzu, dass es sich bei den Berufen, über die wir heute sprechen, um schulische Ausbildungen handelt, für die es in der Regel keine Ausbildungsvergütung gibt und an nicht-staatlichen Schulen Schulgeld gezahlt werden muss.

Schon 2015 kam eine gemeinsame Arbeitsgruppe der Gesundheits- und Kultusministerkonferenz der Länder zu dem Ergebnis: ich zitiere:

„Dabei stehen die Pflege- und Gesundheitsberufe in Konkurrenz zu anderen Ausbildungsangeboten, denn der Fachkräftebedarf erfasst alle Bereiche der Gesellschaft. Es ist daher erforderlich, die Ausbildung in den Gesundheitsfachberufen attraktiv zu halten. Erhebliche Investitionen in der Ausweitung und Qualität der Ausbildungskapazitäten sind notwendig. Dazu zählen auch die solide und nachhaltige Finanzierung der Schulen sowie eine angemessene d.h. tarifgerechte Ausbildungsvergütung.“ Zitat Ende

Einzelne Lösungsansätze, die die Beteiligten selbst auf den Weg gebracht haben, zeigen, dass ein Umschwenken in eine quasi duale Ausbildung möglich ist:

Die Ausbildung zur damals sogenannten Krankenschwester und Krankenpfleger war in den 90er Jahren auch noch schulisch und unbezahlt.

Hier stellten sich die Arbeitgeber – damals noch fast alle kommunal – frühzeitig auf den drohenden Fachkräftemangel ein und legten das Konzept, das mittlerweile im § 17a KHG Bund geregelt ist, einer schulisch-betrieblichen Berufsausbildung inklusive Ausbildungsvergütung vor.

In der Altenpflege gelang dies in den 2000er Jahren, wobei die Umstellung problembehaftet war und ist: Die Ausbildungsvergütung wird einzig und allein über die Pflegesätze finanziert und die privaten Pflegeschulen erhoben weiterhin Schulgeld, das die gezahlten Vergütungen wieder auffraß. Die Azubis mussten sich ein Ausbildungsheim und eine Schule selbst suchen und in den meisten Fällen mit beiden verschiedene Verträge abschließen. All das führte zu einer Unattraktivität der Ausbildung, die jetzt nur ganz langsam aus dem Bewusstsein der Gesellschaft verschwindet. Besonders vertrauenserweckend ist da das derzeitige Rumgedruckse von Land und Bund bei der Neugestaltung der generalisierten Pflegeausbildung gerade nicht.

Die beiden Uniklinika im Land haben seit einigen Jahren erkannt, dass sie auch für die Personalgewinnung in den medizintechnischen und nichtärztlichen Heilberufen etwas tun müssen, wenn sie arbeitsfähig bleiben wollen. So bildet die Uniklinik Halle neben Gesundheits- und Krankenpflegerin, Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin und Krankenpflegehelferin auch medizinisch-technische Radiologieassistentinnen, medizinisch-technische Laboratoriumsassistentinnen, Anästhesietechnische Assistentinnen, Operationstechnische Assistentinnen, Hebammen und Entbindungspfleger, Logopädinnen und Physiotherapeutinnen aus.

Leider gibt es die Uniklinika nicht flächendeckend und auf einem Umstand muss ich auch aufmerksam machen:

Verdi vermeldet bundesweit: ich zitiere: „Ein grandioser Erfolg! Die betrieblich-schulischen Auszubildenden in kommunalen Krankenhäusern und Unikliniken erhalten ab dem 1. Januar 2019 eine Vergütung. ver.di und die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) haben am 30. Oktober 2018 vereinbart, dass Auszubildende zu Medizinisch-technischen Assistent/innen, Physiotherapeut/innen, Diätassistent/innen, Orthoptist/innen, Logopäd/innen und Ergotherapeut/innen in den Tarifvertrag für Auszubildende des öffentlichen Dienstes (TVAöD) einbezogen werden. Das gleiche hat ver.di auch mit der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) für die Universitätskliniken im Geltungsbereich des Tarifvertrags für Auszubildende der Länder (TVAL) vereinbart. Hinzu kommt, dass künftig auch die Notfallsanitäter/innen im Bereich der Länder in den Tarifvertrag für Auszubildende in der Pflege aufgenommen wurden.“ Zitat Ende

Im Land Sachsen-Anhalt betrifft das jedoch nicht einen einzigen Azubi, wie die Antwort auf die kleine Anfrage des Abgeordneten Herrn Swen Knöchel Drucksache 7/2130 vom 14.11.18 zeigt.

Ich zitiere: „Eine Bindung an die Tarifvereinbarungen der öffentlichen Hand besteht nur bei den Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung, bei Landesbetrieben gemäß § 26 LHO und kommunalen Eigenbetrieben. Zu diesen Kategorien gehört von den 48 Krankenhäusern, die im Krankenhausplan des Landes aufgenommen sind, nur noch das städtische Klinikum Dessau (TVAöD). Alle anderen öffentlich getragenen Krankenhäuser sind entweder als kommunale GmbHs oder Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht mehr an diese Rahmenvereinbarung gebunden.“ Zitat Ende. Das Klinikum Dessau bildet jedoch derzeit nur Gesundheits- und Krankenpflegerinnen aus, für die sowieso schon eine Ausbildungsvergütung gezahlt wird. Also können sich genau 0 Auszubildende im Land über das Ergebnis der Tarifverhandlungen freuen.

Diese bisher gegangenen Schritte zur Bezahlung der Gesundheits- und Krankenpflegerinnen, der Altenpflegerinnen und der eben erwähnten, die im echten öffentlichen Dienst Ausbildungsvergütung ab 01.01.19 erhalten, reichen bei weitem noch nicht aus, um die Ausbildung so attraktiv zu machen, dass sich mehr junge Menschen dafür interessieren.

In der Fragestellung der letzten Landtagssitzung im November wurde das Thema ja schon kurz angerissen. Frau Abgeordnete Lüddemann fragte ja, wie die Landesregierung das Ungleichgewicht beim Schulgeld beurteilt und damit umgeht.

Und die Antwort von Frau Grimm-Benne war, ich zitiere „Mittlerweile haben wir im Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration eine Auflistung sämtlicher Gesundheitsberufe vorgenommen, in denen noch Schulgeld gezahlt werden muss, um insbesondere festzustellen, wie viele Personen in den einzelnen Klassen sind und welche unterschiedlichen Schuldgeldbeiträge gezahlt werden. Wir planen für den nächsten Doppelhaushalt eine Initiative aus unserem Haus, dass wir den anderen Bundesländern nachziehen und auch die Gesundheitsberufe von Schulgeld befreien.“ Zitat Ende.

Wir brauchen also nicht mehr darüber reden, ob die Schulgeldfreiheit kommt, sondern über das WIE.

Ich halte die Alleingänge der einzelnen Bundesländer für falsch. Hier ist es nur über Krücken, wie die Einrichtung von Fonds aus Landesmitteln, machbar.

Was wir brauchen, ist eine bundesweit einheitliche Regelung. Ich sehe da 2 Möglichkeiten:

Zum ersten eine Umlageregelung im KHG Bund, durch die auch die Profiteure der gut ausgebildeten Fachkräfte finanziell beteiligt werden, nämlich die Krankenkassen und die Arbeitgeber im medizinischen Bereich, die nicht ausbilden und sich darauf verlassen, dass es „irgendwer schon macht“.

Zum zweiten – und das wäre eleganter – die Übernahme der betreffenden Berufe in das Berufsbildungsgesetz.

Ich freue mich schon jetzt auf die Debatten dazu im nächsten Jahr, wenn es um den Haushalt 20/21 geht und konkret wird und wünsche bis dahin frohe Weihnachten.