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Kerstin Eisenreich zu TOP 23: Blühende Landschaften für Sachsen-Anhalt

Mehr als 50 Prozent aller auf der Erde existierenden Tierarten sind Insekten. So klein sie auch sind, sie haben immense Wirkung: Weltweit werden 88 Prozent aller Pflanzen von Insekten bestäubt. Sie schaffen die Voraussetzung für Artenvielfalt, Lebensräume, Nahrung und Fortpflanzung für andere Tierarten und zahlreiche pflanzenfressende Tierarten, insbesondere Vögel sind direkt von der Bestäubung durch Insekten abhängig. Das gilt auch für den Menschen. Von den 107 am häufigsten angebauten Kulturpflanzen werden 91 – das sind 85 Prozent – durch Insekten bestäubt. Der Marktwert der Produktion durch bestäuberabhängige Kulturpflanzen beträgt rund 550 Milliarden Euro. Dieser Wert wird weiter ansteigen, da bereits in den letzten 50 Jahren der Anbau bestäuberabhängiger Kulturpflanzen um 300 Prozent zugenommen hat und deren Anteil weiter steigen wird.

Das sind die Fakten zur Bedeutung von Insekten. Doch Fakt ist auch, dass in den letzten dreißig Jahren in der Bundesrepublik Deutschland die Häufigkeit und Vielfalt von Insekten um bis zu 80 Prozent, selbst in Schutzgebieten um mehr als 75 Prozent, zurückgegangen ist. Von den 560 in Deutschland nachgewiesenen Insektenarten sind mehr als 50 Prozent gefährdet, fast 5 Prozent gelten als vom Aussterben bedroht. Eine direkte und sichtbare Folge ist, dass die Anzahl der Vögel, die ihre Brut mit Insekten aufziehen um rund 20 Prozent zurückgegangen ist. Gleichlautenden Untersuchungen finden sich auf der ganzen Welt. Und klar ist auch: Ein Totalverlust an Bestäubern hätte Ernteeinbrüche von bis zu 90 Prozent zur Folge. Damit stünde die Versorgung der Menschheit mit Eiweiß, Vitaminen und Eisen auf dem Spiel.

Auch die Ursachen für das weltweite Insektensterben sind bekannt: Immer wirksamere Pestizide führen direkt zum Tod von Insekten, beeinträchtigen deren Orientierungs- und Fortpflanzungsfähigkeit. Pestizide und die Monotonie der angebauten Kulturen vernichten nicht nur Nahrungsquellen, sondern auch Nist- und Überwinterungsmöglichkeiten für Insekten. Flächenfraß durch Zersiedelung und Flächenversiegelung verursachen weiteren Lebensraumverlust und nicht zuletzt haben Krankheitserreger, eingeschleppte invasive Arten und auch der Klimawandel Anteil an diesen Entwicklungen. Dazu haben wir hier im Landtag im Oktober 2017 debattiert.

Dass sich die Menschen mit diesen Phänomenen und möglichen Auswirkungen immer stärker auseinandersetzen und nicht mehr bereit sind, diese Entwicklung einfach hinzunehmen, zeigen die mehr als 1,7 Millionen Unterschriften unter das in Bayern durchgeführte Volksbegehren Artenvielfalt und Naturschönheit „Rettet die Bienen!“

Und viele sind bereits aktiv und versuchen gegenzusteuern. Hier hat bereits ein Umdenken begonnen, auch in der Landwirtschaft sowohl unter Ökobauern als auch konventionell produzierenden Betrieben wächst die Bereitschaft zur Veränderung. Erst letzte Woche wurden sowohl in der Volksstimme als auch in der Mitteldeutschen Zeitung zwei Landwirte in Altmark und Börde vorgestellt, die Blühwiesen anlegen wollen. Beide nehmen dazu Ackerland bewusst aus der Bewirtschaftung und damit auch der gegenwärtigen Fördersystematik heraus. Dadurch werden sie statt der vorgeschriebenen Greeningmischungen Saatmischungen einsetzen, die den Standortbedingungen gerecht werden. Jetzt suchen sie Paten, um ihre Projekte finanziell zu sichern. Das sind gute Beispiele, die auch bewusst die Zusammenarbeit mit den Menschen vor Ort suchen und aufklären, aber den Menschen dadurch auch die Arbeit der Landwirtinnen und Landwirte näherbringen. Denn im Ringen um Artenvielfalt und Insektenschutz sind sie wichtige Verbündete. Und hier muss nunmehr aus unserer Sicht endlich die Politik ihrer Rolle gerecht werden und die Rahmenbedingungen schaffen, damit richtiges und notwendiges Handeln zum Schutz von Insekten landwirtschaftliche Betriebe nicht in ihrer Existenz bedroht.

Der Antrag meiner Fraktion soll genau diese Rahmenbedingungen verbessern und bezieht dabei weitere wichtige Akteure und Handlungsfelder ein. Ein wichtiger Punkt ist dabei der Erhalt von Lebensräumen, der insbesondere bei der Flächennutzungsplanung wichtige Prinzipien einhalten soll. Vor einer Neuversiegelung von Flächen muss zwingend die Entsiegelung stehen. Bevor im Außenbereich Flächen für den Bau ausgewiesen werden oder neugebaut, soll zuerst überprüft werden, ob nicht im Innenbereich Lücken geschlossen werden können. Die Umwidmung land- und forstwirtschaftlicher Flächen für Straßen- und Siedlungsbau ist zu vermeiden.

Am Beispiel der beiden Landwirte aus Altmark und Börde wird deutlich, dass das bisherige Greeningprogramm der EU nicht nachhaltig genug ist. Das haben mir in zahlreichen Gesprächen auch andere Landwirtinnen und Landwirte bestätigt. Mahdverpflichtung und spezielle aufzubringende Samenmischungen führen dazu, dass den Insekten bereits im Sommer der Pollen und damit eine wichtige Nahrungsquelle ausgeht und Überwinterungsmöglichkeiten fehlen. Auch durch die Regelung, dass Greeningflächen nach fünf Jahren umzubrechen sind, damit sie für die Förderung als landwirtschaftliche Nutzfläche erhalten bleiben, konterkariert die Nachhaltigkeit. Hier ist eine dauerhafte Flächenstilllegung und Anlage von Blühflächen wesentlich effektiver. Aber das muss eben honoriert werden.

Hier ist sowohl die bisherige Landesförderung neu zu gestalten als auch auf EU-Ebene bei der Neuverhandlung der zukünftigen Gemeinsamen Agrarpolitik GAP dafür zu sorgen, das auch in den Direktzahlungen der sogenannten Ersten Säule verpflichtende besonders wichtige ökologische Maßnahmen verankert werden.

Unterstützung könnte auch die Einführung eines Kulturlandschaftsprogramms sein. Dabei sollten unbedingt die Erfahrungen aus Bayern und Thüringen, die ein solches Programm haben, einfließen. Auch hier ist zu überprüfen, ob die zum Beispiel in Bayern geltenden ein- und fünfjährigen Blühflächen, wo dies sinnvoll und möglich ist, nicht doch besser Dauerblühflächen werden. Auch die Anlage und Erhalt von Hecken, Feldgehölzen und Steinmauern u.a. Feldstrukturen sowie Wiesen-, Wald- und Gewässerrandstrukturen ergänzen das Angebot von Lebensräumen und helfen beim Bodenschutz und gegen Bodenerosion, ebenso wie bestimmte Anbauverfahren.

Landschaftspflegeverbände übernehmen seit Langem wichtige Aufgaben beim Erhalt von Lebensräumen und der Artenvielfalt und sind vor Ort gut verankert. Doch immer noch ist ihre finanzielle Ausstattung eher mangelhaft. Auch hier muss endlich nachgebessert werden.

Der Erhalt der Biodiversität kann natürlich die Wälder nicht außen vorlassen. Deshalb braucht es aus unserer Sicht mehr Unterstützung und intensive Anstrengungen für Wälder im öffentlichen Eigentum.

Da immer wirksamere Pestizide einen wesentlichen Beitrag zum Artenverlust beitragen, ist deren Einsatz in allen Anwendungsbereichen zu minimieren und Forschung und Beratung für Alternativen zu verstärken. Die Debatte zu diesem Anliegen haben wir bereits mit unserem Antrag „Glyphosatausstieg jetzt einleiten“ in der Drucksache 7/2193 im Dezember 2017 angestoßen.

Mehr räumliche und funktionale Biotopverbunde sind eine weitere wichtige Maßnahme zum Schutz der Artenvielfalt und Lebensräume nicht nur für Insekten. Zur Anpassung an Schutzziele und die Gegebenheiten vor Ort ist aus unserer Sicht das vorhandene Blühstreifenprogramm zu erweitern. Hier sehen wir auch die Öffnung für andere Akteure als wichtige Chance, nicht nur Landwirtinnen und Landwirte anzusprechen und damit auch die gesellschaftliche Akzeptanz zu erhöhen. Wir denken da an die Kommunen, in denen ebenfalls das Bewusstsein für den notwendigen Insektenschutz wächst, oder an die Kleingartenvereine, die dieses Programm im Zuge der Bewältigung des Leerstandes sinnvoll nutzen könnten. Leerstehende Kleingärten können ebenfalls in Blühflächen umgewandelt werden. Das dient dem Insektenschutz und der Artenvielfalt und auch die Kleingärtnerinnen und Kleingärtner profitieren von den Bestäubern.

Ich denke, die Bedeutung der Insekten für Pflanzen und Tiere und uns Menschen ist allen klar. Lassen Sie uns deshalb die Rahmenbedingungen für die so dringliche Aufgabe zum Erhalt der Artenvielfalt verbessern. Und im Übrigen kann auch jeder selbst, viele der großen Maßnahmen im Kleinen umsetzen und seinen Beitrag leisten.

Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag