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Kerstin Eisenreich zu TOP 20: Aktuelle Debatte "Ergebnisse der Kohlekommission: Chance oder Gift für Sachsen-Anhalt"

Seit Freitag liegt nun der Bericht der Kohlekommission vor. Endlich. Endlich ist auch fixiert, dass der Kohleausstieg kommt, obwohl dies gerade hier in Sachsen-Anhalt längst klar gewesen sein sollte. Er ist klimapolitisch dringend notwendig.

Und endlich liegt auch ein gewisser Fahrplan vor und der finanzielle Rahmen mit 40 Milliarden Euro vom Bund auf 20 Jahre, also 2 Milliarden Euro pro Jahr für Strukturhilfen und Beschäftigtensicherung in den betroffenen Regionen sind positive Signale für die Menschen im Mitteldeutschen Revier. Angesichts mutmaßlicher Strompreissteigerungen ist die Entlastung der Verbraucherinnen und Verbraucher durch die Abschaffung der Stromsteuer, das fordert DIE LINKE übrigens seit Langem, und eine Reduzierung der Netzentgelte ein richtiges und wichtiges Zeichen. Jetzt gilt es, die Vorgaben des Berichtes auf Bundesebene zügig in Gesetze zu gießen und vertraglich auszugestalten.

Allerdings ist zu diesem Bericht reichlich Grundsatzkritik angebracht.

Erstens: Klimapolitisch beginnt der Ausstieg mit einem schwachen Einstieg. Die angekündigten Abschaltungen von Kohlekraftwerken führen nicht einmal im Ansatz dazu, die Ziele bei der CO2-Reduzierung zu erreichen. Bis 2022 sollen 3 Gigawatt Braunkohlekraftwerke und 4 Gigawatt Steinkohlekraftwerke vom Netz genommen werden. Damit die Bundesrepublik Deutschland einigermaßen die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens einhalten würde, müssten bis 2022 Kraftwerke mit insgesamt 22 Gigawatt abgeschaltet werden. Das passiert jetzt erst zum Jahr 2030. Und mit 2038 liegt das Enddatum für den Kohleausstieg hinter dem, das DIE LINKE bereits 2015 in ihrem Wahlprogramm mit 2035 fixiert hatte. Damit wird Deutschland dem Klimaschutz aber auch dem Gesundheitsschutz, d.h. den Hauptgründen für den Ausstieg aus der Kohleverstromung nicht gerecht. Wir bleiben dabei: Für den Klimaschutz dürfen die Ziele zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen nicht aufgegeben werden, darf es keine faulen Kompromisse oder Einknicken geben!

Zweitens: Die Kohlekommission sieht für Kraftwerksbetreiber Entschädigungen und Stilllegungsprämien vor, selbst für die Stilllegung von Anlagen mit einer Laufzeit von mehr als 25 Jahren, die damit bereits abgeschrieben sind. Nachdem Kraftwerksbetreiber viele Jahre direkt oder indirekt subventioniert wurden, soll ihnen nun erneut Steuergeld hinterhergeworfen werden. Das ist völlig unverständlich und ein verheerendes Zeichen für andere Branchen: Wir können also leistungslos die Hände aufhalten, falls wir vor einem Strukturwandel stehen. Dabei haben zahlreiche Rechtsgutachten festgestellt, dass die Stilllegungen ohne derartige Transferzahlungen möglich sind. Wir fordern stattdessen, dass die Transferzahlungen grundsätzlich den Strukturwandel für die Beschäftigten und betroffenen Regionen unterstützen und sozial absichern.

Drittens: Nach dem Bundesberggesetz gilt, dass die Bergbauunternehmen für die Folgekosten des Kohleabbaus aufzukommen haben. Es gilt also das Verursacherprinzip, zu dem sich auch die Kohlekommission bekennt. Aber hinlänglich bekannt ist, dass die dazu erforderlichen bilanziellen Rückstellungen zu gering sind und nicht liquide vorliegen. Was passiert? Die mit Steuergeldern finanzierten Stilllegungsprämien und Entschädigungen werden zur Rekultivierung aufgewendet. Wieder sind es faktisch die Steuerzahler, die gesamte Gesellschaft, die dafür aufkommen müssen, dass die jahrzehntelang subventionierten Kohleunternehmen nicht ihrer Verantwortung gerecht werden.

Viertens: Energieintensive Industrien werden dauerhaft entlastet. Beträgt diese Entlastung bisher schon 300 Millionen Euro pro Jahr, so profitieren sie zusätzlich ebenfalls von sinkenden Netzentgelten und der abgeschafften Stromsteuer. Damit wird die nicht sachgerechte Privilegierung dieser Industrien bei Umlagen und Abgaben verstetigt. Dies ist aus unserer Sicht nicht gerechtfertigt und führt auch künftig dazu, dass Energiekosten ungleich zu Lasten der Verbraucherinnen und Verbraucher umgelegt werden.

Fünftens: Die Kommission regt die stoffliche Nutzung von Braunkohle jenseits bisheriger Spezialanwendungen zur Herstellung von Montanwachsen und Aktivkohle an. Dabei sollen wie in der Vergangenheit Brenn- und Treibstoffe sowie Chemikalien hergestellt werden. Das ist aus unserer Sicht kein gangbarer Weg, weil der CO2-Ausstoß gleich bleibt und damit Klimaschutz und Effizienz konterkariert werden. Hier wären andere Ansätze notwendig, z.B. die Herstellung von Grundstoffen und darauf basierenden chemischen Produkten aus CO2. Dazu sollten vor allem die in der Region bereits vorhanden Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Zusammenarbeit mit den Chemiestandorten in Mitteldeutschland Forschung und Entwicklung betreiben. Das ist eine der großen Chancen für die Region, die zugleich Arbeitsplätze und damit Perspektiven für künftige Generationen schaffen können.

Richtig und begrüßenswert ist auch, dass sich die Kommission auch mit der Versorgungssicherheit beschäftigt hat. Investitionsanreize und beschleunigte Genehmigungsverfahren für Gaskraftwerke, auch an den Standorten alter Kohlekraftwerke, sowie die Förderung von Forschung und Entwicklung mittels sogenannter Reallabore für Langzeitspeicher sind gerade auch für das Mitteldeutsche Revier wichtige Perspektiven, die unbedingt genutzt werden müssen. Mit diesen und vielen anderen Maßnahmen kann die Region zur Innovationsregion werden. Dies ist eine große Herausforderung aber eben auch eine riesige Chance. Und die Frage sei erlaubt: Warum sollte es nicht möglich sein, dass im Land vorhandene Kohlekraftwerke, die zwar zu den modernsten gehören und erst spät abgeschaltet werden sollen, bereits früher den Schritt zur Umwandlung in ein Gaskraftwerk gehen? Das haben kommunale Unternehmen auch geschafft. Ich denke da an das Beispiel der Stadtwerke Dessau, die bereits im ersten Quartal dieses Jahres aus der Kohleverbrennung aussteigen.

Zugleich soll die Zubaumenge erneuerbarer Energien erhöht werden. Auch dies ist für Sachsen-Anhalt ein gutes Signal, leiden wir doch seit einiger Zeit unter den zurückgehenden Ausschreibungsmengen für Ökostromanlagen. Damit kann nicht nur der vom Strukturwandel betroffenen Landessüden profitieren, sondern die gesamte Branche der Erneuerbaren Energien, die in den letzten Jahren unter den verschlechterten Ausbaubedingungen gelitten hat. Machen wir uns nichts vor: Der Ausbau Erneuerbarer Energien in Sachsen-Anhalt stagniert und insbesondere bei der Stromerzeugung durch Photovoltaik hat Sachsen-Anhalt noch viel Luft nach oben.

Den Strukturwandel mit den Menschen und für die Menschen vor Ort sozial verträglich und ökologisch nachhaltig zu gestalten, ist die Grundforderung der Linken. Mit der getroffenen Sicherheitszusage im Bericht kommt die Kohlekommission unseren Forderungen nach einer Beschäftigungsgarantie und Einkommenssicherheit, nach Weiterbildung und Qualifizierung schon recht nahe. Und hier konnten sich Kommunen, Zivilgesellschaft und Gewerkschaften durchaus in der Kohlekommission durchsetzen. Wie dies dann gesetzlich und tariflich tatsächlich ausgestaltet wird, bleibt abzuwarten, bedarf aber nun auch dringend der Unterstützung des Landes. Wir dürfen die Menschen dabei nicht allein lassen!

Deshalb muss die Landesregierung endlich aktiv werden und aus eigener Verantwortung den Strukturwandel sozial gestalten. Dabei geht es nicht darum, mal hier, mal dort ein Projekt anzuschieben. Hier geht es um die Entwicklung und Perspektiven einer ganzen Region, noch dazu über Ländergrenzen hinaus. Aber offensichtlich hat die Landesregierung hier noch keinen Plan: Denn, was im Bericht der Kohlekommission in der Projektliste so aufgeführt wird, sieht eher nach einer zusammengewürfelten Wunschliste aus, in der ein Bezug zum Strukturwandel nicht deutlich wird. Hier gilt wohl eher das Motto, dass an dieser Stelle Versäumnisse des Landes in der Vergangenheit mit Bundesmitteln aufgearbeitet werden und Landesmittel eingespart werden sollen. Verantwortung der Landesregierung sieht anders aus! Und obwohl Vereine, Verbände, Kommunen, Forschungseinrichtungen und Unternehmen in der Region längst aktiv sind, konkrete Projekte mit wenig Förderung angeschoben haben und sich länderübergreifend engagieren, sind diese Ideen offenbar nicht für die Projektliste aufgegriffen worden. Die Menschen vor Ort begreifen den Strukturwandel nicht nur als Bedrohung, nein sie setzen sich seit Längerem aktiv und mit Ideen für eine vielfältige Entwicklung der Region und Perspektiven für die Menschen ein. Hier muss die Landesregierung endlich ihrer Verantwortung gerecht werden, damit der Strukturwandel gelingt!

Was meinen Sie, würde die Mehrheit hier im Saal antworten, auf die Frage: Wie wichtig sind Ihnen Ihre Kinder und Enkel und deren Zukunft? Die Antwort wäre wohl einmütig: Ich tue alles für meine Kinder und Kindeskinder, damit sie es einmal gut haben. Aber wissen wir eigentlich, was dieses „sie sollen es gut haben“ für sie bedeutet? Schauen wir dabei nicht zu sehr durch unsere Brille? Ein Blick in diesem Moment auf den Domplatz oder Straßen und Plätze in ganz Deutschland und auch Europa zeigt es: Kinder und Jugendliche haben begriffen, dass die Erde und damit ihre eigene Zukunft in Gefahr ist. Mit der von der 16Jährigen Schwedin Greta Thunberg initiierten Bewegung „Fridays for Future“ sagen die jungen Menschen ganz klar, dass wir Erwachsenen mit unseren zögerlichen und falschen Entscheidungen in der Klimapolitik nicht begriffen haben, welche Konsequenzen dies für nachfolgende Generationen hat. Sie zeigen einen Weitblick und ein Engagement, das mir höchsten Respekt abnötigt. Sie zeigen auch, dass die oftmals für vermeintliches Desinteresse gescholtene Jugend sehr wohl an Politik und den damit verbundenen Problemen, sogar mit einer weltweiten Perspektive und einem Sinn für Gerechtigkeit interessiert und bereit ist, sich dafür zu engagieren. Treffen wir als Erwachsene endlich die richtigen Entscheidungen und akzeptieren wir das Engagement der jungen Menschen als das, was es ist: demokratische Beteiligung und ziviler Ungehorsam, jenseits von Egoismen. Das ist ausdrücklich zu begrüßen und zu unterstützen!

Der Kohleausstieg kommt, das ist klimapolitisch die einzig richtige Entscheidung und daran führt kein Weg vorbei. Aber es ist nur ein Schritt auf dem Weg zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen. Andere Bereiche, insbesondere Landwirtschaft und Verkehr, müssen ebenfalls zur Erreichung der Klimaschutzziele beitragen. Wir sind noch lange nicht am Ende, sondern stehen noch ziemlich am Anfang. Legen wir also endlich los.