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Henriette Quade zu TOP 28: Einrichtung eines Sonderfonds "Reisekosten für Nebenkläger*innen im Prozess gegen den Attentäter von Halle"

Sehr geehrte Damen und Herren,

am 21. Juli 2020 begann vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Naumburg – der auf Grund der Corona-Pandemie in den Räumen des Landgerichts Magdeburg verhandelt – der Prozess gegen den Attentäter, der am 9. Oktober 2019 einen Anschlag auf die Synagoge und den Kiez Döner in Halle verübte. Der extrem rechte Antisemit und Rassist versuchte die Menschen, die in der Synagoge Jom Kippur feierten, zu töten. Als ihm das nicht gelang, erschoss er Jana Lange und verübte dann einen antimuslimischen Anschlag auf den Kiez Döner. Dort erschoss er Kevin Schwarze. Der Attentäter versuchte weitere Menschen im und vor dem Kiez Döner und auf seiner Flucht zu töten und verletzte Menschen in Halle und in Landsberg-Wiedersdorf. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hat Anklage wegen des Mordes in zwei Fällen, sowie des versuchten Mordes in mehreren Fällen zum Nachteil von insgesamt 68 Menschen sowie wegen weiterer Delikte erhoben. Die Anklage wurde inzwischen an siebzehn Prozesstagen verhandelt, weitere Termine sind derzeit bis in den November dieses Jahres angesetzt, eine weitere Verlängerung des Prozesses ist nicht ausgeschlossen – über den Anschlag, über die Folgen, über die politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung hat der Landtag bereits gestern debattiert.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Verfahren vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Naumburg ist von herausgehobener und ja, auch von historischer Bedeutung. Diese Bedeutung hat das Gericht selbst festgestellt, in dem es entschieden hat Tonaufnahmen der Verhandlung anfertigen zu lassen, gemäß § 169 Absatz 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes – eine Möglichkeit, die hier erstmals durch ein Gericht genutzt wird und die erst in Folge der bis heute nicht abgeschlossenen Aufarbeitung des „NSU-Komplexes“ geschaffen wurde. Diese Aufnahmen können nach Abschluss des Verfahrens zu wissenschaftlichen und historischen Zwecken verwendet werden, eben auf Grund der – in den Worten des Gesetzes – „herausragenden zeitgeschichtlichen Bedeutung“. Prozessbeteiligte sind nicht nur den Generalbundesanwalt und der Angeklagte, sondern auch und vor allem 43 Nebenklägerinnen und Nebenkläger. Noch vor Beginn des Verfahrens haben 13 Personen aus der Synagoge in Halle – unter ihnen Besucherinnen und Besucher und Mitglieder der Jüdischen Gemeinde zu Halle –, zwei Personen die der Angeklagte auf der Flucht versuchte zu töten, zwei Gäste des Kiez Döners und dessen Betreiber, die Brüder Ismet und Rifat Tekin und der Vater des getöteten Kevin Schwarze in einer gemeinsamen Erklärung geschrieben, aus der ich – mit Ihrer Erlaubnis – zitiere: „Wir haben uns der Anklage des Generalbundesanwalts als Nebenkläger_innen angeschlossen, um sicherzustellen, dass die rassistische Ideologie des Angeklagten und seine Integration in militante rechte Strukturen nicht nur im Gerichtssaal, sondern auch von den Strafverfolgungsbehörden und der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Die diesen Ideologien innewohnende Menschenverachtung ist jetzt und über diesen Prozess hinaus Anlass zum Nachdenken. Täter wie der Angeklagte brauchen keine physischen Gemeinschaften mehr, um von Gleichgesinnten Ermutigung und Unterstützung zu erhalten. Es ist wichtig, dass dieser Prozess Politikern, Strafverfolgungsbehörden und der breiten Öffentlichkeit als Erinnerung an unser ständiges Bedürfnis dient, Rassismus, Sexismus, Islamophobie und Antisemitismus, die unsere Gesellschaft durchdringen, aktiv entgegenzutreten und alle rechten Ideologien zu bekämpfen.“ Die Nebenklägerinnen und Nebenkläger sind die Menschen, um die es in diesem Verfahren gehen muss. Sie gestalten diesen Prozess aktiv mit, sie nehmen ihre Rechte in Anspruch, sie sagen aus, sie stellen über ihre Rechtsbeistände Anträge und Fragen, sie tragen zur Beweiserhebung und zur Analyse der Taten bei, innerhalb und außerhalb des Gerichtssaals. Für die Getöteten und deren Angehörige, für die Verletzten, für die Überlebenden des Anschlags vom 9. Oktober 2019. Dafür nehmen sie es auf sich, immer wieder nach Magdeburg zu reisen, immer wieder mit dem Angeklagten konfrontiert zu sein, der viele von ihnen versuchte umzubringen. Die derzeitige Rechtslage sieht nicht vor, dass den Nebenklägerinnen und Nebenklägern die Reisekosten für jeden Prozesstag erstattet werden, sondern an den meisten Prozesstagen müssen sie – sofern sie am Prozess teilnehmen wollen – diese Kosten selbst tragen. Die Kosten werden pauschal erstattet, bei einer Entfernung von unter 150 Kilometern bis zum Gericht beträgt die Pauschale derzeit 300 Euro. Für Nebenklägerinnen die beispielsweise aus Berlin anreisen müssen, deckt dies bestenfalls sechs Prozesstage ab und damit schon jetzt 11 weniger, als bis in diese Woche stattgefunden haben. Weder die Justiz noch der Bund oder das Land Sachsen-Anhalt haben hier bisher, sofern sie es versucht haben, Lösungen gefunden, dabei sieht auch der Opferbeauftragte der Bundesregierung das Problem.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es muss den Nebenklägerinnen und Nebenklägern die es wollen möglich sein, den Prozess an jedem Tag selbst im Gerichtssaal verfolgen zu können und ihre Rechte nicht nur über ihre Rechtsbeistände wahrzunehmen – und das darf nicht daran scheitern, dass für sie die Reisekosten nicht tragbar sind. Daher fordern wir Sie auf, mit der Zustimmung zu unserem Antrag die Grundlage zu schaffen, dass das Land Sachsen-Anhalt hier Verantwortung übernimmt und mit einem Reisekostenfonds die Nebenklägerinnen und Nebenkläger unterstützt. Das haben bereits zuvor andere Bundesländer geschafft, etwa Nordrhein-Westfahlen hat ebenfalls eine eigene Regelung zu den Reisekosten für das Love-Parade-Verfahren geschaffen. Die Nebenklägerinnen und Nebenkläger dürfen nicht weiter in die Position gebracht werden Bittstellerinnen und Bittsteller zu sein, sondern diese Kosten müssen schnell und unbürokratisch übernommen werden. Das ist auch der Grund, weswegen wir vorschlagen, die Verwaltung und Abrechnung über die Mobile Opferberatung abzuwickeln. Hier liegt die nötige fachliche Expertise vor, hier besteht bereits der Kontakt zu einem Großteil der Überlebenden, Verletzten und Angehörigen der Getöteten. Die Höhe des Fonds ist gemessen an den Kosten des Verfahrens und erst recht gemessen am Haushalt des Landes ohne jede Frage überschaubar, es ist also keine Frage der Kosten – es ist die Frage, ob der Landtag Verantwortung dafür übernimmt, den Nebenklägerinnen und Nebenklägern die Teilnahme an jedem Prozesstag finanziell zu erleichtern.

Dafür bitte ich Sie hier um Zustimmung.