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Henriette Quade zu TOP 14: Verantwortung für die humanitäre Katastrophe in Afghanistan übernehmen!

Sehr geehrte Damen und Herren,

Am 26. August wurde die deutsche Evakuierungsmission aus Afghanistan eingestellt. – Es wäre gut, sie wäre nicht nötig. Es wäre nicht gut, aber doch zumindest besser, sie würde beendet weil Dank einer internationalen Kraftanstrengung rechtzeitig ein Weg gefunden worden wäre, all jene, die gefährdet sind und Afghanistan verlassen müssen, rauszuholen. Weil es ein Bewusstsein für gemeinsame Verantwortung gegeben hätte. Weil es eine politische Mehrheit für humanitäre Hilfe gegeben und diese im Bundestag rechtzeitig beschlossen worden wäre. Weil man Fehler ausgleichen wollte. Weil man die Lage rechtzeitig adäquat eingeschätzt hätte und die notwendigen Konsequenzen gezogen hätte.  

Aber dem ist nicht so. Das Ende der Evakuierungsmission hatte rein gar nichts damit zu tun, dass irgendwelche Ziele erfüllt worden wären. Sie wurde beendet weil es einerseits das Ultimatum der Taliban gab und weil andererseits nicht die Bereitschaft bestand, über die Aufnahme Geflüchteter zu reden, ja weil das Thema im beginnenden Wahlkampf zunächst mal unbedingt gemieden werden sollte.

Mitte August, noch bevor die halbherzige, viel zu spät gestartete Evakuierungsmission beschlossen wurde, fiel dann der Schlüsselsatz durch den Kanzlerkandidaten der Union: 2015 dürfe sich nicht wiederholen. Dieser Satz heißt, Humanitäre Hilfe darf sich nicht wiederholen. Dieser Satz heißt, dass Wahlkampfinteressen wichtiger sind als das Bemühen, Leben zu retten. Dieser Satz will natürlich nie so gemeint sein, aber heißt eben auch, dass die Menschen, die über Jahre hinweg mit der Bundesrepublik zusammengearbeitet haben,

angeworben und ausgebildet wurden (übrigens auch von LSA), dass ihre Familien, dass Wissenschaftler*innen, Journalist*innen, Lehrer*innen, Anwält*innen, Menschenrechtler*innen und alle, die unmittelbar von den Taliban bedroht sind, schlichtweg nicht zählen.

Dieses Satz ist die Zuspitzung politischen und moralischen Versagens.

Zu diesem Versagen gehört es auch, dass noch bis 11. August nach Afghanistan abgeschoben wurde, auch aus Sachsen-Anhalt, obwohl auch vor Abzug der Truppen klar war: Afghanistan ist vieles, aber nicht sicher. Und zu diesem Versagen gehört auch, dass die Warnungen zu mit dem Abzug der US-Truppe und der Bundeswehr einhergehenden Gefahren für Ortskräfte und alle die sich nach einem freien und demokratischen Afghanistan sehnen offensichtlich ignoriert wurden.

Dazu passt die Entscheidung der Mehrheit des Bundestages, kein Evakuierungsprogramm für Ortskräfte und ihrer Familien aufzulegen, als noch Zeit dafür gewesen wäre. Mittlerweile ist es ja normal, dass die Appelle von Hilfsorgansationen und Menschenrechtsorganisationen verhallen. Dass aber auch die Mitarbeiter*innen der deutschen Botschaft mit ihren Warnungen, Appellen und Bitten über Monate auf verschlossene Ohren im Außenministerium stießen, macht fassungslos. Und ich bin mir sicher – nicht nur mich haben die Einblicke von Menschen wie Markus Grotian vom Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte schockiert, der über Monate mit präziser Kenntnis der Lage in Afghanistan Briefe schrieb, Hilfe anbot, Handlungen einforderte um diejenigen zu retten, die bis dato als Verbündete galten. Vergebens und ohne Antwort.  So harrten

Ortskräfte in Safehouses aus, im Vertrauen darauf, dass ihre Arbeitgeber, ihre Verbündeten ihnen helfen werden. Und saßen in der Falle.

Am 9. Juni wurde Außenminister Heiko Maas im Bundestag -übrigens von einem FDP-Politiker- gefragt, ob nicht auch den afghanischen Ortskräften die Ausreise nach Deutschland ermöglicht werden sollte, die nicht für die Bundeswehr, sondern für die deutsche Entwicklungshilfe gearbeitet hatten. Die Antwort von Heiko Maas lautetet: „All diese Fragen haben ja zur Grundlage, dass in wenigen Wochen die Taliban das Zepter in Afghanistan in der Hand haben werden. Das ist nicht die Grundlage meiner Annahmen.“ 

Der Tagesspiegel zitierte den Afghanistan-Experten Thomas Ruttig im August mit den Worten: „Am Ende wurden die Taliban unterschätzt und die afghanische Armee überschätzt“ … „Über Jahre hat man sich daran gewöhnt, das Bild von Afghanistan zu schönen.“

Das verweist darauf, dass wir es nicht nur mit unfassbaren Fehleinschätzungen zu tun haben, sondern auch mit dem was Grotian „mutwilliges Versagen“ nennt, weil immer wieder die Zahl der Ortskräfte heruntergerechnet wurde, Menschen als nicht schutzbedürftig eingestuft wurden, weil sie bürokratische Fristen nicht erfüllen konnten und zusätzliche Hürden wie starre Visavergabeverfahren eingezogen wurden. Und es zeigt auch dass eine der ersten und dringlichsten Aufgaben des neuen Bundestages sein wird, dieses Totalversagen umfassend zu untersuchen.

Für Afghan*innen die bereits in Deutschland leben hat diese geschönte Lage und das Nichtanerkennen der absolut prekären Sicherheitslage im Land schon längst Konsequenzen. Seit 2016 wurden über 1000 Menschen dorthin abgeschoben, auch aus Sachsen-Anhalt. Familiennachzug trifft auf enorme Hürden und stellt nicht erfüllbare Bedingungen. Hier lebende Afghan*innen haben oft keinen sicheren Aufenthaltstitel, was massive Konsequenzen für den Zugang zu Sprachkursen, zum Arbeitsmarkt und die Teilhabe an dieser Gesellschaft ganz allgemein hat.

Unser Antrag zielt deswegen auf 2 wesentliche Bereiche ab:

  1. Sachsen-Anhalt muss sich dafür einsetzen, dass Menschen die gefährdet sind aus Afghanistan rauskommen können und sichere Aufnahme finden. Dazu gehören die Etablierung von sicheren Fluchtwegen genauso wie Visa-on-arrival- Verfahren, dazu gehört die Anerkennung der Gefährdung von Familien genauso wie der Verzicht auf einen Zwang zur Kooperation mit afghanischen Behörden zur Erfüllung bürokratischer Vorgaben. Dazu gehört Hilfe für die Anrainerstaaten, die Flüchtende die auf dem Landweg ihr Glück versuchen aufnehmen, wie ein Landesaufnahmeprogramm zu initiieren und damit die kommunalen Beschlüsse über „sichere Häfen“, wie sie bereits in Magdeburg und Halle vor langer Zeit erfolgt sind, endlich zur Realisierung zu verhelfen. Dazu gehört Katastrophenhilfe angesichts der zusätzlich auftretenden Dürre in Afghanistan genauso wie ein breit angelegtes Resettlement-Programm für besonders gefährdete Berufs- und Personengruppen wie

Journalist*innen, Wissenschaftler*innen und Frauenrechtsaktivistinnen.

  1. Sachsen-Anhalt muss alles dafür tun, dass bereits in Deutschland und in Sachsen-Anhalt lebende Afghaninnen und Afghanen möglichst schnell einen gesicherten Aufetnhaltsstatus bekommen, die Chance bekommen, arbeiten zu gehen und ihre Familien zu versorgen. Das geht mit vielen vermeintlich kleinen Schritten einher, die aber große Auswirkungen haben: Die Ermöglichung schneller Asylfolgeverfahren für bisher abgelehnte Asylersuchen, die Möglichkeit des einfacheren Statuswechsels z.B. vom Asylsuchenden zum Studierenden oder Azubi und viele weitere. Sie setzen eines voraus: den politischen Willen zu helfen und Verantwortung zu übernehmen und zu tun was auf Landesebene möglich ist (und das ist nicht so wenig) und auf der Ebene des Bundes dafür zu streiten was nötig ist um Afghaninnen und Afghanen aufzunehmen, unterzubringen und ihnen die Chance auf ein sicheres und selbstbestimmtes Leben zu geben.

Und natürlich ist mir klar, dass dieser Tagesordnungspunkt geeignet ist, dass sie meine Damen und Herren über alles mögliche reden, über die friedenspolitischen Grundsätze meiner Partei, über unser Abstimmungsverhalten zu einem Bundeswehrmandat, das einen Tag währte und nur einen kleinen Teil der Bedrohten überhaupt in den Blick nahm und wie so oft, dass Sachsen-Anhalt allein die Probleme der Welt nicht lösen kann, über die Notwendigkeit europäischer Lösungen und angeblich falsche Signale und wahrscheinlich auch

über Verwaltungsvorschriften die dem entgegen stünden, so als ob diese nicht geändert werden könnten- Ich sage ihnen für meine Fraktion sehr klar: Wir können gern über die Positionen meiner Partei reden. Aber nach 20 Jahren Militäreinsatz in Afghanistan, 40 Jahren Krieg in diesem Land und angesichts eines Talibanregimes, das innerhalb kürzester Zeit die Kontrolle übernehmen kann, üppig mit Waffen ausgestattet ist, Zugriff auf Infrastruktur und sensible Daten hat und offensichtlich nicht geschwächt aus den letzten 20 Jahren hervor geht, müssen wir vor allem darüber reden, dass dieser „war on terror“ gescheitert ist.

Das sollte uns alle demütig machen und beschämen. Und vor allem zwingt es uns alle, uns zu verhalten.

Das falscheste Signal was dieser Landtag senden könnte, wäre so zu tun als ginge uns die Lage in Afghanistan nichts an. Sie geht uns etwas an und sie hat mit den Menschen die hier leben zu tun und sie beschäftigt Menschen in Sachsen-Anhalt. Ich habe zahlreiche Anrufe von Menschen bekommen, die Angst haben, die um das Leben ihrer Familie in Afghanistan bangen und die händeringend Hilfe suchen und sie am ehesten noch bei privaten Rettungsmissionen finden.

Zahlreiche Menschen, aber auch Vereine und Verbände wie Caritas, Paritätischer, Diakonie und viele andere positionieren sich bundesweit und hier in Sachsen-Anhalt sehr klar für Humanität und Hilfe und machen klar, dass sie für alle damit verbundenen Integrations- und Hilfsprogramme als Verbündete, Expert*innen und aktive Fachkräfte bereit stehen. Nehmen wir ihre Impulse auf und handeln wir!

Danke!