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Henriette Quade zu TOP 1: Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses

Anrede,

nach mittlerweile 14 Jahren sind die Wendungen des Falls Oury Jalloh mehr als verworren und es ist schon deshalb notwendig, sich die Fakten des Falles und seiner Nichtaufklärung immer wieder vor Augen zu führen. Dadurch wird nämlich auch klar, worin der zentrale Unterschied zu anderen Fällen besteht, die hier im Hause immer wieder thematisiert wurden und warum der Vorwurf, die Linke hätte mit ihrem Agieren im Fall Oury Jalloh erst den Boden für die Attacken auf den Rechtsstaat von Rechtsaußen bereitet, schlichtweg infam ist.

Es geht nicht um den einen Skandal, es geht um eine Kette von Skandalen. Der größte ist, dass ein an Händen und Füßen gefesselter Mensch im Polizeigewahrsam stirbt. Über 14 Jahre und zwei Prozesse vergehen ohne Aufklärung. Verunmöglicht wird die Aufklärung durch Polizisten, die lügen und schweigen; eine Gesellschaft, die nicht nach den Todesumständen eines schwarzen Asylbewerbers fragt; eine Politik, die Verantwortung von sich wegschiebt und eine Justiz, die entscheidende Fragen nicht stellt.

Die jüngste Welle der öffentlichen Aufmerksamkeit und auch der erneuten Beschäftigung hier im Landtag begann im August 2016 mit dem von der Dessauer Staatsanwaltschaft angeordneten Brandversuch in Dippoldiswalde. Im April 2017 kommt der Dessauer Staatsanwalt auf Grundlage der Arbeit mehrerer Sachverständiger und Experten zu einem für das bisherigen Agieren der Justiz revolutionärem Schluss: es sei am wahrscheinlichsten, dass Oury Jalloh mit einer geringen Menge Brandbeschleuniger bespritzt wurde und das Feuer von dritter Hand gelegt worden war.

„Oury Jalloh - das war Mord“ wird damit erstmals offiziell zu einem Verdacht der Justiz.  Damit verwirft der Dessauer Staatsanwalt die Hauptermittlungsthese, die auch er über 12 Jahre vertrat und nach der alle Untersuchungen ausgerichtet wurden. Denn obwohl es vor 2016  schon Brandversuche gegeben hatte, war dieser der erste, der der Frage nachging, wie das Feuer in der Zelle eigentlich entstanden ist.

Dabei gab es frühzeitig Hinweise darauf, dass Oury Jalloh sich nicht selbst angezündet haben kann. Sie wurden immer wieder von der Oury-Jalloh-Initiative und der Familie Jalloh als Nebenklägerin vorgetragen. Die zentralen Fragen sind weder neu, noch beantwortet. Wie soll sich ein Mensch der gefesselt ist und bei der Durchsuchung kein Feuerzeug hatte selbst anzünden? Warum brennt eine feuerfeste Matratze? Warum fehlen entscheidende Teile der Videodokumentation der Zellenbegehung? Warum taucht das Hauptbeweismittel, das Feuerzeug, erst Tage später auf?

Diese Fragen konnten in zwei Prozessen nicht beantwortet werden. Richter Manfred Steinhoff schätzte nach Ende des ersten Prozesses ein: „Das, was hier geboten wurde, war kein Rechtsstaat mehr, und Polizeibeamte, die in besonderem Maße dem Rechtsstaat verpflichtet waren, haben eine Aufklärung verunmöglicht.“

Das ist der zentrale Unterschied zu anderen Fällen, bei denen Fragen offen sind. Das ist der zentrale Unterschied zu Angriffen auf den Rechtsstaat, die der Unterstellung folgen, die Justiz wolle Fälle nicht aufklären, weil das angebliche Ergebnis politisch nicht ins Konzept passe. Das ist ein Befund, der die Dimension des Falls Oury Jalloh deutlich macht. Und es ist einer, der klar macht, dass es hier eben nicht darum geht, Gewaltenteilung aufzuweichen oder politischen Einfluss auf die Unabhängigkeit der Justiz zu nehmen, sondern um politische Verantwortung.

Wenn Polizisten juristische Aufklärung eines Todesfalles in Polizeigewahrsam unmöglich machen, dann sind nicht diejenigen, die auch politische Aufarbeitung fordern, eine Gefahr für den Rechtsstaat, sondern die, die das ignorieren wollen!

Es waren seit 2005 wenige engagierte Menschen, die immer wieder selbst Gutachten in Auftrag gaben und die Justiz zum Handeln zwangen. Sie wurden als Nestbeschmutzer, Verschwörungstheoretiker und linke Spinner diffamiert und kriminalisiert und auch das ist Teil des Skandals.

Aber schauen wir uns den weiteren Lauf der Dinge an:

Im April 2017 brach die Staatsanwaltschaft Dessau also mit den bisher bekannten Handlungsmustern der Justiz und ging offenen Fragen offen nach. Kurze Zeit später war sie nicht mehr für den Fall zuständig. 

Mit den Erkenntnissen aus diversen Gutachten zum Brandversuch in Dippoldiswalde wandte sie sich an den Generalbundesanwalt mit der Bitte, ein Verfahren zu führen weil ein Tötungsdelikt vorliegen könnte.  Doch der lehnte ab. Das Verfahren ging zurück nach Sachsen-Anhalt, die Staatsanwaltschaft Dessau forderte beim Generalstaatsanwalt personelle Unterstützung an, um die notwendige Ermittlungsarbeit leisten zu können.

Dieser entschied aber anders. Statt Personal nach Dessau zu schicken, entzog er Dessau das Verfahren Oury Jalloh und gab es im Juni 2017 an die Staatsanwaltschaft Halle. Diese kam bei Prüfung derselben Unterlagen zu einem gänzlich anderen Schluss als ihre Dessauer Kollegen und stellte das Verfahren ein, weil kein Anfangsverdacht für eine Straftat vorläge.

Im September 2017 führten wir an dieser Stelle eine Debatte, in der Justizministerin Keding jegliche Fragen zurückwies, da das Verfahren laufe und nicht aus den Akten berichtet werden dürfe.

Wer Aufklärung forderte, wurde bezichtigt in die Unabhängigkeit der Justiz eingreifen zu wollen. Politische Aufarbeitung können überhaupt erst nach erfolgter juristischer Aufklärung beginnen oder sei gar nicht mehr notwendig. Polizisten dürften nicht diskreditiert werden.

Die Brandgutachten wurden bis zuletzt als Geheimsache behandelt, Anträge der Nebenklage ignoriert.

Anträge auf Sondersitzung des zuständigen Rechtsausschusses wurden abgelehnt und die Einschätzungen der Staatsanwaltschaft Dessau waren nach wie vor nicht öffentlich. Bis es zu einer Befragung des Generalstaatsanwaltes im Rechtsausschuss kam. Dieser legte dar, dass die Befunde der Sachverständigen sehr widersprüchlich seien. Doch seien sich alle einig gewesen, dass es nicht ausgeschlossen ist, dass sich Oury Jalloh selbst angezündet habe. Dass eine größere Menge Brandbeschleuniger im Spiel gewesen sei, sei hingegen ausgeschlossen. Es gäbe keinen Grund und keine Chance weiter zu ermitteln.

Was er nicht sagte, wurde wenige Tage später durch einen Bericht des Magazins Monitor öffentlich: Dass die Gutachter unisono von einer geringen Menge Brandbeschleuniger ausgingen. Dass sie alle es für wahrscheinlicher hielten, dass Oury Jalloh angezündet wurde, als dass er sich angezündet habe. Und dass die Staatsanwaltschaft Dessau Polizisten als konkrete Tatverdächtige benannte.

Während im Landtag von Sachsen-Anhalt um die Notwendigkeit der Akteneinsicht und der Veröffentlichung der Brandgutachten gestritten wurde, waren es erneut journalistische Recherchen und öffentliche Berichterstattung, die offenbar Druck erzeugten.  Die Justizministerin wies schließlich an, dass der Fall erneut überprüft werden soll und zwar von ebenjener Generalstaatsanwaltschaft, die entscheidende Erkenntnisse der Gutachter gegenüber dem Rechtsausschuss verschwiegen hatte.

Zusätzlich beschloss der Rechtsausschuss im Frühjahr 2018, dass zwei Sachverständige die Geschichte des Falls Oury Jalloh aufarbeiten sollen und einschätzen sollen, ob die Justiz alle Mittel zur Aufklärung ausgeschöpft hat und ob der Landtag stets richtig und umfassend informiert wurde. Schnell war sogar die Rede von Sonderermittlern, die tätig werden sollen und tatsächlich entstand der Eindruck von Bewegung. Es blieb beim Eindruck.

Denn auf die mediale Ankündigung folgte zunächst eine Ablehnung der Einsetzung von Sachverständigen, eine Verschiebung ein ums andere mal, weil man sich koalitionsintern noch einig werden müsse. Heute sind die Sachverständigen zwar benannt und haben einen beschlossenen Arbeitsauftrag. Ob sie den jemals erfüllen werden, bleibt aber offen und dies ist ausdrücklich nicht den Sachverständigen anzulasten, sondern ausschließlich den Koalitionsfraktionen. Denn offenbar waren alle Befürchtungen berechtigt, die vermuteten dass das Verfahren mit Sachverständigen einen Hauptzweck hatte: Die Diskussion um einen Untersuchungsausschuss zu ersticken, die bezeichnenderweise ausserhalb Sachsen-Anhalts weitaus intensiver geführt wurden als in Sachsen-Anhalt.

Der Beschluss war mehr als eindeutig: Sobald der Generalstaatsanwalt seine Prüfung beendet hat, sollen die Sachverständigen ihre Arbeit aufnehmen. Die Koalitionsfraktionen entschieden jedoch, den Beginn der Arbeit noch weiter zu verschieben. Nun sollen die Berater erst beginnen, wenn über ein Klageerzwingungsverfahren entschieden ist und auch nur, wenn dies abgewiesen wird. Damit wird der Beschluss zur Einsetzung von Sachverständigen endgültig Makulatur. Makulatur einer Koalition, in der Aufklärung und Aufarbeitung des Falls Oury Jallohs keine politische Mehrheit haben und Makulatur von Koalitionspartnern die nicht mal die Größe haben, das zuzugeben.

Anrede,

Der Generalstaatsanwalt hat entschieden. Er fasste einen über 200 seitigen Prüfvermerk, berichtete dem Rechtsausschuss erneut und legte die Gründe für seine Entscheidung dar. Und ja, auch hier hat meine Fraktion Fragen, die die Notwendigkeit eines Untersuchungsausschusses deutlich machen. Im Kern sagt er, dass kein Ereignisablauf zweifelsfrei belegbar ist und deshalb ein Anfangsverdacht für das Vorliegen einer Straftat nicht mir der nötigen Konkretisierung formuliert werden könnte. Wenn das aber so ist, dann müsste fortan von Bienen ungeklärten Todesfall in Polizeigewahrsam die Rede sein, wenn über den Tod Jury Jallohs gersprochen wird.  Das wäre die Konsequenz aus der Argumentation der nicht zweifelsfrei zu belegenden Abläufe, die weitere Ermittlungen unmöglich machen.

Und erneut sind es Medienberichte, die Zweifel wecken: Die Experten, auf deren Einschätzung die Neubewertung durch die Staatsanwaltschaft Dessau beruhte wurden trotz monatelanger Prüfung nicht erneut befragt und mindestens einer der Beteiligten widerspricht der Darstellung ihrer Einschätzungen im Prüfbericht.

Es wird mit Hypothesen gearbeitet. Das ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass in einem Fall Hypothesen als nicht beweiskräftig genug angesehen werden, um erfolgversprechend erneut zu ermitteln. Im anderen Fall werden sie aber als gegeben angenommen. Es sei auszuschließen, dass Polizisten Oury Jalloh angezündet hätten, weil sie andere Möglichkeiten gehabt hätten. Deswegen müsse Oury Jalloh sich selbst angezündet und getötet haben. Beides sind Annahmen. Annahmen die mit unterschiedlichen Maßstäben bewertet werden. Denn was am Ende steht, ist die Frage, was von diesem Fall übrig bleibt. Ein Selbstmord oder eine ungeklärter Tod in Polizeigewahrsam. Das ist ein entscheidender Unterschied gegenüber den Hinterbliebenen Oury Jallohs. Es ist auch ein entscheidender Unterschied in Bezug auf politische Verantwortung und die Notwendigkeit politischer Konsequenzen.

Und anlässlich der Aussage des Generalbundesanwaltes zur angeblich nicht ersichtlichen Staatsgefährdung drängt sich die Frage auf, worin diese für Justiz und Politik im Fall Oury Jalloh eigentlich wirklich besteht: Darin dass Polizisten einen Menschen getötet haben könnten, oder darin, dass das heraus kommen könnte und als wahrscheinlichere Variante als der Selbstmord im kollektiven Gedächtnis bleibt? 

Anrede, welchen Fragestellungen der Untersuchungsausschuss folgen soll, haben wir beschrieben. Warum und warum die bisherigen Beschlüsse dazu nicht ausreichend sind, auch.

Ich ende deshalb mit Heribert Prantl, der schon im Jahr 2017 schrieb:

„Es gibt kaum einen anderen Fall, in dem sich die zuständigen Richter, schier in Verzweiflung, so drastisch geäußert haben: Man habe nicht die Chance gehabt, "das, was man ein rechtsstaatliches Verfahren nennt, durchzuführen". Polizeibeamte hätten "bedenkenlos und grottendämlich" falsch ausgesagt. Und die Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof sagte, der Tod des Mannes in der Zelle hinterlasse "nicht nur bei Angehörigen und Freunden Fassungslosigkeit und Ratlosigkeit". Fassungslosigkeit, Ratlosigkeit. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Außer einem Untersuchungsausschuss im Landtag.“