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Ausschuss geht zu Ende – Aufarbeitung muss weiter gehen – kein Schlussstrich

Mit der heutigen, letzten Sitzung des 19. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) zum Anschlag am 9. Oktober 2019 in Halle (Saale) und Landsberg-Wiedersdorf kommt die parlamentarische Aufarbeitung zu einem vorläufigen, unzureichenden Ende. Dazu erklärt Henriette Quade, innenpolitische Sprecherin und stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE im Landtag von Sachsen-Anhalt:

„Für die Fraktion DIE LINKE war von Beginn an klar: Dieser Ausschuss mit diesem Untersuchungsauftrag ist grundsätzlich nicht geeignet, den Anschlag vom 9. Oktober 2019 und den damit verbundenen Problemkomplex Umgang der Sicherheitsbehörden mit rechtem Terror aufzuarbeiten. Einerseits weil Fragen der Arbeit der Sicherheitsbehörden, Strukturen, Analyseinstrumente und Schlussfolgerungen grundsätzlich im Innenausschuss zu bearbeiten sind. Andererseits weil dieser Untersuchungsausschuss einen Untersuchungsauftrag hatte, der zentrale Fragen ausgeklammert hat: Die der Motivation des Täters und der gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen rechten Terrors. Die AfD-Fraktion hat den 19. PUA benutzt, um sich in widerlicher Weise als Beschützerin von Jüdinnen und Juden zu inszenieren, während Teile der Fraktion dieselbe rechtsextreme Ideologie vom „großen Austausch“ verbreiten, wie der Attentäter, der versuchte die Betenden in der Synagoge in Halle zu ermorden.

Die Fraktion DIE LINKE hat die Arbeit im Ausschuss trotz der offensichtlichen Defizite und Fehlkonstruktionen sehr ernst genommen und aktiv mitgestaltet. Der eigentliche Erkenntnisgewinn fand für uns allerdings im Prozess statt. Es waren die Nebenkläger*innen, die diesen Prozess aktiv gestaltet haben. Die Tiefe ihrer Analysen, insbesondere auch der gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen von rechtem Terror, stehen im deutlichen Gegensatz zur Tiefe der Reflektion in den Behörden. Die Feststellungen im Bericht zur Opferarbeit des Innenministeriums konnten von den im Ausschuss gehörten Betroffenen nicht geteilt und nachvollzogen werden.

Auch die Frage, welche Schlussfolgerungen Sicherheitsbehörden eigentlich aus der Aufarbeitung des Anschlages und des Polizeieinsatzes gezogen haben und ob die Analyseinstrumente von BKA und LKA zur Einschätzung von Gefährdungen tauglich sind, stand nicht im Mittelpunkt der Ausschussarbeit. Sie sind aber die entscheidenden Fragen, um Konsequenzen aus dem Anschlag zu ziehen. Angesichts der Entwicklungen rechten Terrors weltweit, der Vernetzung und der Gamification von Terror hätten die Anschläge von Pittsburgh und Christchurch zu einem Umdenken beim BKA und auch in Sachsen-Anhalt führen müssen. Sie hätten zu einer Neubewertung der Gefährdungslage führen müssen und zur Entscheidung, dass jüdische Einrichtungen und Synagogen polizeilichen Schutz benötigen. Die Behörden hätten die Vorbildwirkung internationaler Terrorakte reflektieren müssen.

Offen – und im Bericht des Vorsitzenden unterrepräsentiert – bleibt die Frage, warum keiner der befragten Polizisten den Leitfaden zum Schutz jüdischer Gemeinden des OSCE aus dem Jahr 2017 kannte, der den Schutz jüdischer Gemeinden explizit empfiehlt. Dieser wurde zwar mit viel Pressearbeit im Innenministerium vorgestellt. In der Praxis polizeilicher Arbeit spielte er jedoch keine Rolle. Allein dieser unvollständige Blick macht deutlich: Es darf keinen Schlussstrich geben. Die Aufarbeitung des Anschlags vom 9. Oktober 2019 und die Beschäftigung mit notwendigen Konsequenzen in der Arbeit der Sicherheitsbehörden und die Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen rechter, rassistischer, antisemitischer Terror entsteht und stattfindet, wird eine der zentralen Herausforderungen der kommenden Legislatur. Es ist die gemeinsame Verantwortung von Landtag und Landesregierung, alles zu tun, um Antisemitismus, Muslimfeindlichkeit, Rassismus und Frauenfeindlichkeit zu bekämpfen, Betroffene zu schützen und zu unterstützen.

Der Entwurf des Vorsitzenden für den Wertungsteil lag den Fraktionen seit Freitagabend vor, heute wurde er mit den Stimmen der Ausschussmitglieder der Regierungsfraktionen als Mehrheitsbericht beschlossen. Üblich im parlamentarischen Verfahren ist, dass dazu abweichende Sondervoten erarbeitet werden können, welche eine eigenständige Wertung der parlamentarischen Untersuchungen und des Mehrheitsberichts darstellen. Dies ist nun nicht möglich, da sich die CDU-Fraktion einer Einigung mit den Fraktionen SPD, Grüne, DIE LINKE für eine Sondersitzung des Landtags zum Beschluss des gesamten Berichts inklusive Sondervoten verweigerte und damit erzwang, dass Sondervoten bis morgen Mittag vorliegen müssten. Eine seriöse, eigenständige Wertung und Reaktion auf den Mehrheitsbericht ist so nicht möglich, es genügen keine drei Werktage für eine abschließende Bewertung der Arbeit des 19. PUAs zum schlimmsten Anschlag in Sachsen-Anhalt seit Bestehen des Bundeslandes. Das Verhalten der CDU-Fraktion im 19. PUA ist ein Skandal und widerspricht parlamentarischen Gepflogenheiten in vergleichbaren Ausschüssen, wie den NSU-Untersuchungsausschüssen, die Fraktion DIE LINKE kritisiert dieses Vorgehen aufs Schärfste.

Die Fraktion DIE LINKE wird ihre Bilanz zur Arbeit des Untersuchungsausschusses in den nächsten zwei Wochen vorstellen.“

 

Magdeburg, 14. April 2021